Ich bin kein religiöser Mensch.
Im Gegenteil, ich halte einen relativ stabilen Sicherheitsabstand zu allem, was mit dem Wort Religion in Verbindung gebracht werden könnte.
Das hat Gründe.
Besonders im Nahen Osten ist Religion ein zentrales Thema und religiöser Extremismus leider alles andere als eine Randerscheinung. Viele Konflikte gehen zurück auf religiöse Differenzen.
Dabei nehme ich die Erfindung der Religionen als eine Art Rettungsanker für das menschliche Dasein wahr. Sie geben dem Menschen einen Rahmen, was erlaubt und was verboten ist, und Sinn im Leben und Hoffnung für danach. Viele Menschen sind darauf angewiesen.
Somit eigentlich eine feine Sache, wären wir nur in der Lage Menschen, die Angehörige einer anderen Religionsgruppe sind, zu tolerieren.
Das ist nicht zu viel verlangt, doch im Falle der Juden allem Anschein nach doch ein Tick zu viel.
Immer wieder greifen nämlich palästinensische Terroristen, zuletzt am Donnerstagmorgen der vergangenen Woche, jüdische Beter am »Josefsgrab« in Nablus, einem der heiligsten Pilgerorte der Juden, an. Das Josefsgrab ist eine Pilgerstätte, die laut den Oslo Friedensverträgen, obwohl im Hoheitsgebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde, Juden freien Zugang erlauben sollte.
Den freien Zugang würden jüdische Pilger nicht ermöglicht bekommen, wäre da nicht die israelische Armee, die sie begleitet und beschützen muss. Dennoch haben palästinensische Terroristen letzten Donnerstag zum wiederholten Male mit scharfer Munition auf mehrere jüdische Beter geschossen und einige verletzt.
Dieses Vorgehen ist nicht nur eine klare Nichteinhaltung der Oslo-Vereinbarungen, sondern ein klarer Angriff auf die freie Religionsausübung.
Ein Zwischenfall, der auch in den deutschen Medien auf großes Gehör stoßen sollte, schließlich ist man ja sehr am Frieden im Nahen Osten interessiert.
Doch der Aufschrei blieb aus.
Auch eine Woche danach hat dieses Verbrechen auf die Religionsfreiheit und gegen ein internationales politisches Abkommen kaum eine Nachrichtenredaktion in Bewegung gesetzt.
Ich frage mich, warum?
Was wäre denn los, wenn wir den Spieß einfach einmal kurz umdrehen würden und sagen wir mal jüdische Extremisten mit scharfer Munition auf muslimische Pilger in Jerusalem schießen würden?
Ich kenne die Antwort.
Der Zwischenfall in Jerusalem würde es in die Abendnachrichten beim ARD und ZDF schaffen und bei Spiegel online direkt auf die Startseite. Eventuell würden sich Protestzüge durch deutsche Städte in Gang setzen und »intellektuelle« BDS-Unterstützer, allen voran eine Gruppe Alibi-Juden, über die sozialen Medien lautstark zu Wort melden.
Hilft dieser Ansatz den moderaten Kräften im Nahen Osten oder spielt er doch eher den Extremisten in die Hände.
Ich bin kein religiöser Mensch.
Ich bitte jedoch um eine ausgewogene und professionelle Berichterstattung auch in Bezug zum Thema Religion, religiösem Fanatismus und der Religionsfreiheit.
Ohne Doppelstandards.
Arye Sharuz Shalicar, geboren in Berlin, ist ein deutsch-persisch-israelischer Politologe, Schriftsteller, Regierungsmitarbeiter, ehemaliger Berater des israelischen Außenministers und Sprecher der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF). Im Oktober erscheint von ihm »Schalom Habibi. Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden«.