Frau Krauss, warum spielt der Umgang mit Erinnerungen in Ihren Romanen eine so zentrale Rolle?
krauss: Was mich interessiert, ist die Frage, wie man Erinnerungen transformieren kann, wie man die eigene Vergangenheit neu erfinden kann, um das Leben erträglicher zu machen. Dieser Akt der Verwandlung, der gleichzeitig auch die Grundlage für mein Schreiben ist, fasziniert mich.
Hat das auch biografische Gründe? Spüren Sie eine Art Verpflichtung, Ihre jüdische Familiengeschichte vor dem Vergessen zu bewahren?
krauss: Nein. Es wäre eine ziemlich beklemmende Vorstellung, als Archivar der Erinnerungen anderer herhalten zu müssen.
In Ihrem zweiten Buch »Die Geschichte der Liebe« geht es aber nicht nur um individuelle Historie. Sie setzen sich dort auch intensiv mit der Geschichte des Judentums und der Schoa auseinander.
krauss: Das stimmt. Obwohl ich mich nicht als jüdische Autorin definiere, geht es in meinen Büchern natürlich genau darum, was es bedeutet, jüdischer Herkunft zu sein: ein zweites Leben beginnen zu müssen, nachdem man das Leben verloren hat, das einem vertraut war. Die Bücher, die ich geschrieben habe, legen also in der Tat nahe, dass meine jüdische Herkunft ein zentrales Thema für mich ist.
Ein anderes ist die Literatur. In »Die Geschichte der Liebe« verändert ein Buch das Leben gleich mehrerer Menschen. Denken Sie, dass Romane tatsächlich Derartiges bewirken können?
krauss: Ein Buch kann sehr vieles nicht, etwa einen Krieg beenden oder hungrige Menschen satt machen. Aber ein gutes Buch kann das Denken eines Menschen im Großen wie im Kleinen beeinflussen. Was meine Erfahrungen betrifft, so glaube ich, dass Literatur der beste Weg ist, eine Art von gedanklicher Kommunikation zu ermöglichen, einem Menschen das Gefühl zu geben, den Kopf eines anderen zu besuchen und durch diese Begegnung das eigene Denken zu verändern.
Sie, Ihr Mann Jonathan Safran Foer, Benjamin Kunkel und Marisha Pessl werden in den Medien gern einer »Neuen Welle« junger New Yorker Autoren zugeordnet. Was hat es damit auf sich?
krauss: Ich denke, derartige Kategorisierungen sind das Resultat von Veränderungen, die sich momentan im amerikanischen Verlagswesen abspielen. Mittlerweile steht einfach eine riesige Marketingmaschinerie hinter jedem einzelnen Buch und die Verlage scheinen immer abhängiger von bestimmten biografischen Details ihrer Autoren zu werden. Ich jedenfalls sehe keine Verbindung zwischen mir und den anderen Autoren – abgesehen davon, dass wir alle noch relativ jung sind.
Sie und die genannten Autoren werden bisweilen auch als Gegenbewegung zum Realismus eines Jonathan Franzen verstanden. Stimmt das wenigstens?
krauss: Solche Aussagen unterstellen, dass das Einzige, worauf Autoren reagieren, andere Autoren sind und ignorieren gänzlich die Möglichkeit, dass jemand einen Gedanken völlig aus sich selbst heraus entwickeln könnte. Jeder Schriftsteller hat eine bestimmte Begabung und die von Franzen oder Philip Roth besteht nun einmal darin, ein bestimmtes soziales Milieu mit all seinen kleinen Tragödien sehr genau einfangen zu können. Daran bin ich aber überhaupt nicht interessiert. Mir geht es darum, eine Welt zu erschaffen, die zwar verbunden ist mit der, in der wir leben, aber gleichzeitig eine völlig andere ist.
Und was hat es mit dem glamourösen New Yorker Literatenzirkel auf sich, in dem Sie laut Medien verkehren? Auch ein Klischee?
krauss: Das ist kein Klischee, sondern schlicht und einfach nicht wahr. Da Paul Auster und Siri Hustvedt in derselben Straße leben wie Jonathan Safran Foer und ich, ist es nicht weiter verwunderlich, dass wir uns oft über den Weg laufen. Aber die meisten meiner Nachbarn, die ich kenne, sind keine Schriftsteller. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht unhöflich, aber mir kommt es manchmal so vor, als ob einige deutsche Journalisten von dem Gedanken förmlich besessen sind, dass New Yorker Autoren in einem exklusiven, für andere unzugänglichen Zirkel leben. Dabei ist es doch die normalste Sache der Welt: Man kennt Leute, die dasselbe tun wie man selbst, aber das ist in keiner Weise glamourös. Ich denke nicht, dass zwischen New Yorker Autoren eine tiefere Verbindung besteht als zwischen Schriftstellern anderswo.
Seit Februar leben Sie ja sowieso nicht in New York, sondern als Stipendiatin der American Academy für ein halbes Jahr in Berlin. Wie gefällt es Ihnen hier?
krauss: Was mich an Berlin fasziniert, ist die Leere, die vielen freien Flächen, auf die man hier immer wieder stößt. Für jemanden, der wie ich aus New York kommt, wo jeder Quadratmeter zubetoniert ist, ist diese Leere einfach nur verblüffend. Außerdem gibt es überall verborgene Stätten der Erinnerung. Vor ein paar Tagen etwa habe ich erfahren, dass sich unter dem Gebäude der American Academy ein Bunker befindet. Ursprünglich gehörte das Haus einer jüdischen Familie, aber während des Nazi-Regimes hat Hitlers Wirtschaftsminister Walther Funk hier gelebt und den Bunker bauen lassen. Heute, als ich auf dem Weg in die Bibliothek war, stand ich plötzlich vor der Eingangstür zu diesem Bunker.
Sie sind nach Berlin gekommen, um hier in Ruhe an Ihrem neuen, dem dritten Roman zu arbeiten. Wie kommen Sie damit voran?
krauss: Ich habe, ehrlich gesagt, noch nicht wirklich mit dem Schreiben begonnen. Dabei fühlt es sich immer so seltsam an, wenn ich gerade nicht an einem Buch arbeite. Jemand anders an meiner Stelle würde vielleicht denken: Ich nutze die Zeit lieber, um etwas völlig anderes zu tun. Aber mir kommt es während der Phasen, in denen ich nicht schreibe, immer so vor, als ob die Welt an mir vorüberziehen würde, als ob mir ein System abhandengekommen wäre, in das ich die Dinge einordnen kann.
Sie haben den Akt des Schreibens einmal als »anhaltende Katastrophe« bezeichnet. Legt sich dieses Gefühl mit der Zeit?
krauss: Im Gegenteil: Es wird schlimmer. Je älter ich werde und je länger ich schreibe, desto genauer weiß ich, was gutes Schreiben ausmacht und umso bewusster wird mir, was ich schreiben möchte und wie schwer es ist, genau das zu tun.
Das Gespräch führte Andreas Resch.