von Julia Vitalis
In Zeiten, in denen ein globales Publikum das Hinrichtungsvideo von Saddam Hussein im Internet herunterladen kann, müssen Künstler, die Aufmerksamkeit auf dem umkämpften Markt finden wollen, sich besonders anstrengen, zu provozieren. Ein zunehmend beliebtes Thema, weil fast ga-rantiert geeignet, Skandal zu machen, ist der Holocaust. Mit der Vernichtung der Juden als Sujet schafft man es als Künstler fast sicher in die Schlagzeilen.
Ein spektakuläres Beispiel war Santiago Sierras Aktion in der ehemaligen Synagoge Pulheim im März 2006: Aus sechs Schläuchen wurden Autoabgase in das Gebäude geleitet. In Begleitung durfte jeweils ein Besucher mit Gasmaske eintreten, um das original Endlösungsgefühl nachzuempfinden. Nach heftigen Protesten wurde die Aktion nach nur einmaliger Durchführung eingestellt. Die Verantwortlichen der Stadt Pulheim waren völlig überrascht von den entrüsteten Reaktionen. Sierra selbst verteidigte sich in einem Spiegel-Interview: »Ich wollte das Leiden verbildlichen und die Juden in Deutschland würdigen.«
»Auschwitz ist menschlich« ist das Motto eines anderen Künstlers. Volker März wollte in seiner Installation »Eichmann-Raum« eine kleine Tonfigur des Schoa-Organisators mit dem selbst geschnitzten Kamm eines Buchenwald-Häftlings in Beziehung setzen. Der Kamm als authentisches Objekt lag dem Künstler dabei vor allem am Herzen: er sollte dem Projekt moralische Quasi-Legitimität verleihen. Nachdem das Kunsthaus Nürnberg wegen der inhaltlichen Brisanz eine geplante Schau des »Eichmann-Raums« abgesagt hatte, wurde März im Herbst 2006 damit zu einer Hannah-Arendt-Ausstellung in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule Berlin eingeladen. Als andere Künstler drohten, deswegen ihre Teilnahme aufzukündigen, installierte März als Alternative 330 zum Teil körperlich deformierte und sexualisierte Tonfiguren in einem Kellerregal, darunter Hannah Arendt barbusig im Badehandtuch. Einige Figuren weckten Assoziationen an KZ-Häftlinge, andere zeigten den Hitlergruß. Dazu ertönte März’ Text »Menschenlästerei«, vertont von Bernadette LaHengst: »Drum lass uns Auschwitz höllisch lästern / und sag, dass es doch menschlich sei / ich glaube nur – das ist das Schlimme / Auschwitz hält heute an/ ist nicht vorbei / Drum bau ein Haus ich, mitten in den Ozean/ geländerlos und heimatfrei / dort wird mein Lachen zum tosenden Orkan / der neuen Menschenmöglichkeit.« März spielt hier auf Hannah Arendts Lachen beim Lesen von Eichmanns Verhörprotokollen beim Prozess 1961 an. Die Schoa als ahistorisch allgemein menschliches Phänomen hatte die Philosophin allerdings nicht im Sinn. März vereinnahmt sie für seinen eigenen Zweck einer »Entmythologisierung des Holocaust«.
Über die Schoa gelacht wurde auch bei einer Ausstellung über polnische Gegenwartskunst im Haus Schwarzenberg in Berlin Ende 2005. Ausgerechnet in dem Haus, in dem während der NS-Zeit der Kleinfabrikant Otto Weidt jüdische Angestellte vor der Deportation gerettet hatte, war der Künstler Zbigniew Libera mit einem Foto vertreten, auf dem fröhliche Menschen ein bekanntes Bild der Befreiung von Auschwitz detailgetreu nachstellen. Das Foto schmückte auch den Ausstellungsflyer mit dem dazugehörigen Text »Schönheit siegt auf allen Fronten«. Nicht das erste Mal, dass Libera sich dem Thema Schoa widmete: 2002 präsentierte er im Jüdischen Museum New York ein Spielzeug-KZ aus Lego-Steinen und sorgte für heftigen Streit.
Solche Kunstaktionen laufen unter dem Label »Erinnerungskultur«. Doch was hier gerade nicht stattfindet, ist Gedenken. Stattdessen wird das Grauen trivilalisiert, sei es aus ideologischen Motiven oder aus PR-Kalkül. Es geht primär um den Skandal. Nicht zuletzt zeichnen sich diese Kunstprojekte durch einen bemerkenswerten Mangel an Einfühlungsvermögen aus. Wie Überlebende darauf reagieren, scheint den Künstlern gleich zu sein. Horst Hoheisel, der sich seit über 20 Jahren in partizipativen und prozessorientierten Kunstaktionen mit der NS-Zeit auseinandersetzt, kritisiert deshalb seine Kollegen: »Man sollte sich überlegen, wen man wie verletzt. Das kann man vom Künstler fordern.«
Hoheisel geht einen anderen Weg. Sein neues, gemeinsam mit Andreas Knitz erarbeitetes Projekt »Das Denkmal der grauen Busse« erinnert an 691 Euthanasie-Opfer aus Weißenau bei Ravensburg, die in Grafeneck ermordet wurden. Ein in Beton nachgegossener grauer Mercedes-Bus von 1939 steht vor dem Ausfahrtstor der ehemaligen Heilanstalt. Ein zweiter Bus ist als mobiles Denkmal unterwegs auf dem ursprünglichen Weg der Transporte. Die Verwaltungsbescheide der jeweiligen Gemeinden, an denen der Bus Station macht, werden als Teil des Denkmal-Prozesses dokumentiert. »Eine Kunstform, die mehr mit Geschichte als mit Eventkultur zu tun hat«, grenzt sich Hoheisel von Aktionen wie der Sierras ab. Überregionale Schlagzeilen hat sein Projekt bislang nicht gemacht. Es fehlt wohl der Skandalwert.