von Martin Geist
Es ist nicht einfach, Jüdin zu sein. Immer, wenn Frauke Chava Kuchenbuch Nichtjuden trifft, muß sie dieselben Fragen nach Ritualen und Praxis ihrer Religion beantworten. Nur, daß diese Fragen jeweils von anderen Leuten gestellt werden. Doch die 39jährige gibt den manchmal einseitigen Dialog der Religionen nicht auf. So wie vergangenen Sonntag bei einer interreligiösen Stadtrundfahrt in Kiel.
Eben noch hat Chava Kuchenbuch in der kleinen, erst vor einem Jahr eröffneten Synagoge im Stadtzentrum aus der Tora vorgelesen. »Das klingt ja gar nicht wie Lesen, sondern nach Singen«, sagt ein junger Mann. Solche Überraschungseffekte sind normal in Kiel. Von den 230.000 Einwohnern der norddeutschen Landeshauptstadt sind die allermeisten Christen, etwa 10.000 gehören dem Islam an, nicht einmal 500 dem Judentum. Wenn man eine so kleine Gruppe ist, wissen die anderen erstens entsprechend wenig über einen, und man muß sich zweitens multifunktionalisieren. Bei einer interreligiösen Stadtrundfahrt bloß im Bus mitfahren, das geht nicht. Eine wie Chava Kuchenbuch als Stütze der 2004 gegründeten und derzeit 50 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde in Kiel ist bei solchen Anlässen auch als Gesprächspartnerin gefordert.
Sie läßt sich gern fordern. Die blonde Norddeutsche kennt das Judentum und seine Geschichte. Und deshalb weiß sie, wie wichtig, vielleicht überlebenswichtig es ist, mit Vertretern anderer Religionen im Gespräch zu bleiben. »Für eine Minderheit wie uns ist es normal, sich mit anderen Religionen zu befassen«, sagt sie. Chava Kuchenbuch lebt erst seit diesem Sommer in Kiel, und deshalb fällt ihr an dieser Stadt noch so manches auf. Das Interesse am Judentum sei groß in Kiel, sagt sie. Das sei zwar erfreulich, aber manchmal auch belastend. »Wenn wir zu zehnt beten, und 30 schauen uns dabei zu, dann stellt sich schon so etwas wie ein Zoo-Effekt ein«, sagt Kuchenbuch und gibt zu, für dieses Problem auch keine rechte Lösung zu wissen. Die Juden seien nun mal eine fast verschwindend kleine Minderheit. Da könne man nichts anderes tun, als einfach sein Bestes zu geben.
Sein Bestes gibt auch der Interreligiöse Arbeitskreis der Stadt. Der gründete sich vor 13 Jahren und läßt nichts unversucht, die Vertreter verschiedener Religionen füreinander zu interessieren und ihre Sinne für das Gemeinsame zu schärfen. Aufs Konto des Arbeitskreises geht auch diese Stadtrundfahrt, die nicht nur zur Synagoge, zu Kirchen und zur Moschee führt, sondern auch zu Stätten der Bahai und des Buddhismus. 75 Menschen nehmen daran teil, die Fahrt hat viel mehr Interesse geweckt, als die Veranstalter erwarteten.
Und sie hat einiges bewirkt. »Warst du schon mal bei den Buddhisten?«, fragt Alf Bartholdy. »Nein, das ist meine Premiere«, antwortet Chava Kuchenbuch. Sie lernt an diesem Tag so manches dazu. »Hochinteressant«, fand die Protestantin Marie Vesper ihren Besuch in der Synagoge. Trotz bereits verschiedener Begegnungen mit dem Judentum nahm sie viel Neues mit nach Hause. Und die Muslimin Calan Ipekcioglu sagt strahlend: »Es war anders, aber schön.« Wie es die Christen mit ihrem Glauben halten, davon hatte die 24jährige vorher schon eine ungefähre Ahnung. Eine Begegnung mit dem Judentum aber war Neuland für sie.
Andersherum trifft das nicht zu, denn Chava Kuchenbuch hat schon mehrmals Moscheen besucht. Diesmal ist es die Große Moschee in Kiels multikulturellstem Stadtteil Gaarden. Dort steht Orhan Cerrah auf dem Hof, er begrüßt die Besucher freundlich und beantwortet viele Fragen. Wie es die Muslime mit dem Beten halten, welchen Stellenwert die Frauen haben, warum man sich in Moscheen immer die Schuhe ausziehen muß.
Der türkische Gastgeber antwortet lächelnd und geduldig. Und auch Chava Kuchenbuch lächelt und wirkt dabei irgendwie wissend. Auch ihr werden oft dieselben Fragen gestellt.