Unterstützung

Schnorren erlaubt?

von Dieter Graumann

Ja, es geht auch ums Geld. In den vergangenen Monaten sind mehrere neue Staatsverträge von jüdischen Landesverbänden mit den jeweiligen Landesregierungen abgeschlossen und neu ausgehandelt worden. Immer ist dabei auch die finanzielle Förderung angehoben worden. Das ist gut so. Aber noch lange nicht gut genug.
Die Finanzausstattung von jüdischen Gemeinden in Deutschland ist ein Dauerbrenner, der alle jüdischen Vertreter beschäftigt und noch lange Zeit beschäftigen wird. Mag man so gelegentlich die Vorurteile befördern, den Juden gehe es doch immer wieder nur ums Geld, so dürfen wir uns von derartigen Pauschalvorwürfen –dümmlich, dämlich und bösartig, wie sie sind – nicht davon abhalten lassen, für unsere Interessen zu kämpfen. Darüberhinaus sollten wir in dem Bemühen, zusätzliches öffentliches Geld zu erhalten, kei- neswegs allzu schüchtern sein. Nur keine Hemmungen! Kein jüdischer Vertreter wirbt für sich selbst. Immer geht es darum, für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft, also für die Menschen, etwas zu erreichen.
Alle jüdischen Gemeinden in Deutschland sind chronisch unterfinanziert. Das vermag nur die öffentliche Hand zu ändern. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland wird darauf bestehen müssen, daß die Leistungen aus dem Staatsvertrag sehr bald sehr deutlich den Gegebenheiten angepaßt werden. Die Aufgaben auf allen Ebenen der jüdischen Gemeinschaft sind gerade in den vergangenen Jahren überproportional gewachsen, ja nahezu explodiert. Wir alle brauchen mehr Geld, gerade um gemeinsam und in gegenseitigem Respekt mit den vielen Menschen, die in den vergangenen Jahren glücklicherweise zu uns gekommen sind, eine ganz neue jüdische Gemeinschaft aufzubauen, die dynamischer, lebendiger und vielfältiger sein wird. Wir haben ganz bestimmt nicht zu viele Zuwanderer, wohl aber leider viel zu wenig Geld, um sie so intensiv betreuen zu können, wie wir das wollen und wie sie es verdienen.
Aber vergessen wir bitteschön nicht, warum die Gemeinden buchstäblich bettelarm sind. Die frühere jüdische Gemeinschaft in Deutschland war keineswegs derart mittellos. Ganz im Gegenteil, sie benö- tigte und erhielt keine öffentliche Unterstützung. Vielmehr waren es sehr oft jüdische Mäzene, die im ganzen Land außergewöhnlich großzügig öffentliche Einrich- tungen für alle finanzierten, ob es nun Museen, Krankenhäuser, Parkanlagen oder Bildungseinrichtungen waren. Es war der brutale, verbrecherische Raubzug der Nationalsozialisten, der dazu führte, daß das gesamte jüdische Eigentum in Deutschland für immer fast vollständig verloren ging. Zwar gab es nach dem Krieg diverse Restituierungen. Aber die Gemeinden sind in der Regel doch nur mit einem Bruchteil von einem Bruchteil entschädigt, oft kann man sagen: abgespeist worden.
Das muß wissen, wer heute als deutscher Politiker gelegentlich genervt auf die Wünsche jüdischer Vertreter reagiert. Zwar gibt es keinen Rechtsanspruch, diese Wünsche, gut 60 Jahren nach der Schoa, einfordern zu können. Aber sehr wohl gibt es nach wie vor eine politische, historische und moralische Verantwortung, die nicht vergeht und zeitlos bleibt. Solche Zusammenhänge sollten jüdische Vertreter, die um öffentliches Geld werben, sich ruhig öfter selbst vor Augen führen. Diese Einsicht wird zwar für sich genommen leider noch nicht finanzwirksam sein. Aber sie führt doch am Ende zu der wichtigen Erkenntnis, daß sich übertriebene Schüchternheit erübrigt, wenn wir um Subventionen und andere Zuwendungen kämpfen.
Schnorren ohne Schamgefühl? Beide Begriffe treffen nicht zu. Hier geht es nicht ums Schnorren und schon gar nicht darum, sich für etwas schämen zu müssen. Es geht um moralische Grundsatzfragen, die deutsche Politik, auf allen Ebenen, immer wieder zu beantworten hat: Soll jüdisches Leben in Deutschland wieder eine kraftvolle und lebensfähige Basis erhalten und behalten? Sollen die Gemeinden im Land wieder eine Chance bekommen, leben und überleben zu können? Soll die jüdische Gemeinschaft die Mittel erhalten, um die große, unendlich wertvolle Chance der Zuwanderung wirklich nutzen und auch langfristig zu einer andauernden Erfolgsstory machen zu können?
Klar, die öffentlichen Haushalte sind oft in schwieriger Lage. Aber übertriebenes Mitgefühl von unserer Seite wäre doch nicht angebracht. Denn am Ende geht es bei sämtlichen Wünschen der jüdischen Gemeinschaft auf allen Ebenen aus der Sicht der öffentlichen Haushalte schließlich immer nur um Größenordungen, die im Verhältnis zu ihren Gesamtetats nicht einmal im Promillebereich liegen. Die Wünsche der jüdischen Vertreter sind also ausnahmslos zumutbar und ohne weiteres realisierbar – sofern der politische Wille der staatlichen Entscheidungsträger besteht, sie auch erfüllen zu wollen.

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