Schlußverkauf
ohne Winter
Pullover, Mäntel, Stiefel: Der Einzelhandel räumt seine Lager
von Benita von Kyaw
Welche sollen es bloß sein: Die spitzen, modischen Velourstiefel oder doch lieber die eher sportlichen Glattlederstiefel? Sarah, 22 Jahre alt, aus Jerusalem kann sich nicht entscheiden. Jeder ihrer Füße steckt in einem anderen Modell, hektisch läuft sie zum Spiegel und zurück zur Mutter. »Was meinst Du?« fragt Sarah ungeduldig. Zeit ist schließlich Geld – nebenan im Laden wartet das nächste Schnäppchen, und da gehen die besten Sachen sicher auch schnell weg. Draußen sind es zwar knapp zwanzig Grad, aber der Winterschlußverkauf ist einfach zu verlockend. Hier im großen Malcha-Einkaufszentrum, am Stadtrand von Jerusalem, sind die Stiefel bei Castro um vierzig Prozent reduziert. Sogar mit bis zu siebzig Prozent Preisnachlaß verhökert der Laden nebenan seine Winterpullis. »Die Lager sind voll nach diesem Winter, der keiner war«, erklärt Mosche Bar von der Handelsunion. »Es war nicht richtig kalt, es hat kaum geregnet. Die Ware muß raus, bevor die Frühjahrsmode in die Läden kommt.«
Seit fünf Jahren erst gibt es die beiden großen Lagerverkäufe in Israel – am Ende
des Sommers und am Ende des Winters. »Während des Höhepunkts der Intifada und der Bombenattentate sind die Menschen kaum einkaufen gegangen und haben kein Geld ausgegeben. Es fehlte auch die Kaufkraft der Touristen und dazu kommt die hohe Arbeitslosigkeit im Land. Da muß man sich etwas einfallen lassen, damit die Menschen wieder Geld ausgeben«, sagt Mosche Bar.
Der Lagerverkauf in Israel ist nicht gesetzlich geregelt – auch während des Jahres kann der Einzelhandel Preisnachlässe anbieten. Doch nur bei den beiden großen Schlußverkäufen am jeweiligen Saisonende, wenn alle Läden gleichzeitig beteiligt sind, gibt es die richtigen Preiskracher. »Shocking Sale« lautet denn auch das Motto, unter dem das Malcha-Einkaufszentrum seinen diesjährigen Winterschlußverkauf gestellt hat. Und das »schockie-
rend« niedrige Preiskonzept kommt an. Überall wühlen sich Schnäppchenhungrige durch die Tische, die auch vor den Läden aufgestellt wurden. Viel Platz zum Aussuchen bleibt da nicht. Wer spitze Ellbogen hat, hat eher gute Chancen, erfolgreich zu sein. »An einem normalen Tag kommen bei uns 30.000 Besucher in das Einkaufszentrum. In diesen Tagen sind es gut 60.000«, berichtet die Verkaufsleiterin von Malcha, Talia Baron.
Sarah hat sich inzwischen für die spitzen Velourstiefel entschieden. 200 Schekel
anstatt 300 Schekel zahlt sie. Wofür sie die Stiefel bei den schon frühlingshaften Temperaturen eigentlich noch braucht? »Die Nächte sind kalt – vor allem wenn ich mit Rock ausgehe. Morgen soll es außerdem wieder Winter werden«, rechtfertigt sie schnell ihren Kauf. Bis Ende Februar, bis zum Ende des Winterschlußverkaufs, hat Sarah noch Zeit, viele Gründe zu finden, um auf Schnäppchenjagd zu gehen.