frankfurt/Main

Schlemmen mit gutem Gewissen

Eigentlich sind die Mitarbeiter des Frankfurter Hilton Stress ge-
wohnt. Das Hotel, das sich wegen seiner zentralen Lage großer Be-
liebtheit erfreut, wird gerne für Tagungen, Empfänge oder Galas angemietet. Dennoch wirken die Pagen an diesem Samstagabend besonders angespannt. Im Sekundentakt rennen sie vor zur Hochstraße, um Autotüren zu öffnen und Schlüssel in Empfang zu nehmen, während im Hintergrund der Verkehr in Richtung Innenstadt rollt.
Im Schatten des mächtigen Gebäudes helfen sie festlich gekleideten Besuchern beim Aussteigen, Herren in adretten Smokings und Damen in nicht minder feinen Abendkleidern. Üblicherweise empfangen sie hier Geschäftsreisende und Messebesucher, zu erkennen an ihren Rollkoffern. Die Gäste des heutigen Abends haben kein Gepäck, von dem ein oder anderen Handtäschchen mal abgesehen. Es sind Gäste für nur einen Abend, gekommen, um Geld auszugeben – und dabei Gutes zu tun.

Blitzlichtgewitter Wenn der Frankfurter Ortsverband der Internationalen Zionistischen Frauenorganisation (WIZO) zur Spendengala einlädt, scheint alles zu kommen, was in der Mainmetropole Rang und Namen hat. Vor dem Liberty-Ballsaal des Hilton geht es um kurz vor 20 Uhr zu wie beim Opernball. Permanentes Blitzlichtgewitter verrät, dass die Promidichte an diesem Abend besonders hoch ist. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist angekommen, ebenso Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Simone Graumann vom WIZO-Vorstand und ihr Mann Dieter Graumann, Kulturdezernent der Frankfurter Gemeinde. Auf den israelischen Botschafter Yoram Ben-Zeev warten sie noch. Die Pressevertreter haben sich derweil auf das Ehepaar Michel Friedman und Bärbel Schäfer eingeschossen. Ein Trubel, bei dem man leicht vergessen könnte, dass der Abend eigentlich im Zeichen eines ernsten Anliegens steht.
»One Night for Children« heißt der Titel der Gala. Spenden sollen gesammelt werden für die 14.000 Kinder und Jugendlichen, die in den Einrichtungen der Organisation in Israel betreut werden. Für 500 Euro können die Gäste eine symbolische Patenschaft eines Kindes übernehmen und ihm ein Jahr lang die Betreuung in einer WIZO-Kindertagesstätte ermöglichen.
»Ein Mann der großzügig ist, wirkt sexy!« Moderatorin Susanne Fröhlich, die mit Fernsehkollegin Andrea Kiewel durch das Programm führt, gibt das Motto des Abends vor. Zu ihren Füßen haben es sich die 330 Gäste an den Tischen bequem gemacht. Der erste von fünf Gängen wird gereicht. Auf den beiden Bildschirmen wird der aktuelle Spendenstand bekannt gegeben. 115 Patenschaften sind schon gezeichnet, noch ehe die Veranstaltung begonnen hat. »Wir sind die Welt, wir sind die Kinder«, sagt Rachel Singer, Präsidentin der WIZO-Deutschland, in Anspielung auf Michael Jackson, »so let’s start giving«. Vier Stunden bleiben ihr und ihren Mitstreiterinnen, um die magische 500er-Grenze zu erreichen, die sie sich gesetzt haben.
Frau des Jahres Vier Stunden, in denen die Organisatoren für ein abwechslungsreiches Programm gesorgt haben. Soulsängerin Joan Faulkner gibt eine Kostprobe ihres Könnens, Kabarettist Thomas Reis erörtert im Zwiegespräch mit seiner imaginären Lebensgefährtin die Unterschiede zwischen Mann und Frau. Zwischendurch verleiht die WIZO ihre Auszeichnung »Wo-
men of the Year« an das Frankfurter Vorstandsmitglied Esther Sharrell, betätigt sich Michel Friedman als Glücksfee und überreicht dem ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler ein neues Set Golfschläger und betritt Chris-
tina Rau, Witwe des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, die Bühne. »Was die WIZO-Frauen in Deutschland zustande bringen, dafür kann man ihnen gar nicht dankbar genug sein«, sagt die 52-Jährige. »Ich hoffe mit allen anderen, dass wir die 500er-Marke knacken können.«

spendenflut Als Rau von der Bühne tritt, wird gerade der zweite Gang gereicht. Es ist 21.30 Uhr und der Spendenzähler zeigt 358 Patenschaften an. In Laufschrift huschen die Namen der Spender vorbei, darunter wieder Prominente aus Politik und Showbusiness, auch einige große Un-
ternehmen. Die Namen der meisten Anwesenden sucht man vergebens. Dafür taucht oft das Wörtchen »anonym« auf. Vor allem die großen Spender, die zwischen zehn und 20 Patenschaften übernommen haben, ziehen es offensichtlich vor, ungenannt zu bleiben. »Tue Gutes und sprich nicht darüber«, scheint das Motto des Abends zu sein.
Zwischen den einzelnen Programmpunkten kennen die Gäste nur zwei Richtungen: zur Bühne an den WIZO-Tisch, um eine Patenschaft zu übernehmen, oder raus ins Foyer, zum Rauchen und Quatschen. Über der Veranstaltung liegt eine gewisse Unaufgeregtheit. Keine große Party, eher ein geselliges Beisammensein, bei dem jeder jeden zu kennen scheint.
»Ich bin nicht zuletzt deshalb gekommen, weil die Damen hier in der Überzahl sind.« Ralph Giordano hat die Lacher auf seiner Seite. Ein bewusster Kontrapunkt, zu dem fast ehrfürchtigen Schweigen, das den Raum erfüllt, als der Publizist gegen 23 Uhr die Bühne betritt. Er erinnert an die immense Leistung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, der es nach der Schoa gelungen sei, wieder ein aktives Gemeinwesen zu schaffen. »Und das mit nur 35.000 Seelen, bei denen die Alterspyramide auf dem Kopf stand.«
Die Anwesenden mahnt Giordano zur Wachsamkeit in Hinblick auf rechtsextreme Tendenzen in der Gesellschaft. »Hitler ist zwar militärisch geschlagen«, betont der 86-Jährige, »aber geistig – besser ungeistig – ist er es noch nicht.«
Als Giordano die Bühne verlässt erntet er lang anhaltenden Applaus. Unbemerkt von den meisten Anwesenden hat der Pa-
tenschaftszähler schon lange die 500er- Grenze überschritten. 563 ist der Endstand, als die Gala um Mitternacht zu Ende geht, umgerechnet 281.500 Euro für die WIZO-Aktivitäten in Israel. Die meisten Gäste verlassen kurz darauf den Liberty-Saal. Die Kellner räumen die Tische ab, auch für sie geht ein langer Abend zu Ende.

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