von Alfred Bodenheimer
Aharon stirbt, wie später Moses, auf einem Berg, einen Tod, der von Gott angekündigt ist und der von Gott explizit als Tod vor dem Eintritt ins Land deklariert ist (4. Buch Moses 20, 23-28). Anders als Moses’ Tod, erfolgt der Tod Aharons fast unmittelbar nach jenem Ereignis, das explizit den Anlaß dazu bietet: Das Ereignis von Mei Meriwa, nachdem Moses und Aharon Gottes Befehl, den Felsen anzusprechen, damit er Wasser gäbe, nicht befolgt haben. »Moses hob seine Hand, und er schlug den Felsen mit seinem Stab zweimal, und viel Wasser trat heraus, und die Gemeinschaft und ihr Vieh trank. Da sprach Gott zu Moses und zu Aharon: Weil ihr nicht an mich geglaubt habt, mich zu heiligen vor den Augen der Israeliten, deshalb werdet ihr die Gemeinde nicht in das Land bringen, das ich ihnen gegeben habe« (4. Buch Moses 20, 11-12).
Es ist zunächst nicht ganz klar, weshalb Aharon gestraft wird. Er und Moses hätten sprechen sollen, aber Moses allein hat den Felsen geschlagen. Dabei könnte aber das entscheidende Wort im Vers »zweimal« sein. Raschi erklärt, der Fels habe nach dem ersten Mal nur Tropfen hervorgebracht, darauf hätten Moses und Aharon zu einem anderen Felsen gesprochen und, da dieser nichts hervorgebracht habe, habe Moses noch einmal zugeschlagen, wobei hier nicht klar ist, ob den ersten oder den zweiten Felsen, nach dem Rezept eines früheren Vorfalls, in dem Moses explizit das Schlagen auf den Felsen befohlen worden sei (2.Buch Moses, 17,6). Raschbam hingegen spricht einfach von Zorn und Wut, die Moses beherrscht hätten, deshalb das zweimalige Schlagen. Stützen wir uns auf diese Interpretation, so kommen wir zum Schluß, daß genau zwischen dem ersten und dem zweiten Schlag Aharon, der keinen Stab dabei hatte und auch nicht schlug, hätte in Aktion treten müssen. Moses ist für seine Affekthandlungen, wie etwa das Erschlagen des gewalttätigen Ägypters, bekannt. Die bekannte Schwere seiner Zunge, beziehungsweise Unbeschnittenheit seiner Lippen, deretwegen ihm Gott Aharon bei der Begegnung mit dem Pharao als seinen »Mund« beigesellt, ist ja womöglich nicht notwendigerweise als Sprachfehler zu werten (denn Moses spricht ja später, vor allem im 5. Buch Moses, sehr viel und absolut problemlos), sondern eher als Problem, in kritischen Situationen verbal zu agieren. Aharon hat hier seine Rolle als Mund Moses’ nicht wahrgenommen, deshalb wird er im selben Maße zur Verantwortung gezogen wie dieser. Aharon stirbt ähnlich wie Moses, aber doch ganz anders. Im Gegensatz zu Moses, der einsam auf den Berg Nevo steigt und dort von Gott in den Tod geküßt wird, steigt Aharon in Begleitung zweier Menschen zu seiner Todesstätte: Moses und Aharons Sohn Elasar, der Nachfolger in der Hohenpriesterschaft. Besonders die Begleitung Elasars kommentiert Raschi aus der Perspektive des Moses: »Wohl dir, daß du siehst, wie deine Krone deinem Sohn übergeben wird, was mir nicht zuteil wird.«
Es ist bemerkenswert, daß Moses den göttlichen Befehl erhält, Aharon an seine Todesstätte zunehmen, und nicht Aharon direkt befohlen wird, zur Todesstätte zu gehen. Nach Moses’ Tod (5. Buch Moses, 34,8) heißt es: »Alle Israeliten weinten um Moses in den Steppen Moabs dreißig Tage«, bei Aharon: (4.Buch Moses, 20-29): »Und sie weinten um Aharon dreißig Tage, jedes Haus Israels«. Aharon, der Kommunikator, ist in den Herzen der einzelnen Menschen präsenter, Moses ist Gott näher.
Arnold Schönberg hat in seiner Oper Moses und Aharon diese Konstellation zwischen dem gottnahen Propheten, einer harten Sprechstimme, und dem singenden, kommunikativen, aber der unmittelbaren Härte des Gesetzes ausweichenden Aharon als Leitthema gewählt. Mag diese Darstellung die Konstellation allzu sehr pointieren, ja verzerren, so bedeutet das auch, daß Aharon eine Dynastie gründen konnte, im Gegensatz zu Moses, der seiner Familie eher fernstand.
»Du (Moses) wirst ihm (Aharon) zum Elohim (Gott) sein, und er wird dir zum Mund sein.« (2. Buch Moses, 4,16) Diese Rollen, in all ihren Facetten, haben beide bis zum Schluß beibehalten – das einzige Mal, daß die Funktionen einander nicht mehr ergänzten, war zugleich der Moment ihres großen, auch persönlichen Scheiterns.
Chukkat-Balak: 4. Buch Moses 19,1 - 25,9