von Carsten Blumenstein
Hermann E. Geller rollt seinen Schlafsack aus – und das in einer Kirche. Direkt vor dem Altar der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in Bielefeld verbringt er seit einer Woche die Nächte. Geller und einige Mitstreiter, allesamt Senioren, haben das Gebäude besetzt, um es als christliche Gottesdienststätte zu erhalten.
Der 66-jährige Geller ist Vorsitzender einer Bürgerinitiative mit mehreren Dutzend Mitgliedern, die seit mehr als einem Jahr versucht, ihre Kirche zu retten. Doch am letzten Sonntag im März war Schluss. Mit einem Abschiedsgottesdienst wurde das endgültige Aus der Kirche besiegelt. Nach der Fusion mit der Neustädter Mariengemeinde sei kein Geld mehr für die Paul-Gerhardt-Kirche vorhanden, sagen die neue Gemeinde, der evangelische Kirchenkreis und die Westfälische Landeskirche. Geller jedoch, ehemaliger Kirchmeister der Paul-Gerhardt-Gemeinde, ist überzeugt, dass Kirche und Gottesdienste noch einige Zeit aus Spendenmitteln finanziert werden können.
Die Mariengemeinde und der Kirchenkreis möchten den Kirchenbau aber gerne verkaufen – und zwar an die Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld, die ihn in eine Synagoge umwandeln will. Die Verhandlungen laufen seit geraumer Zeit, ein Ver- tragsabschluss ist allerdings noch nicht in Sicht. Der geplante Verkauf an die Jüdische Gemeinde, die in Bielefeld keine eigene Synagoge besitzt, bietet Stoff für neuen Streit. Den Besetzern wird indirekt Antisemitismus vorgeworfen, die Besetzer wiederum bezweifeln, dass die Kirchenleitung mit der Jüdischen Gemeinde ernst- haft verhandelt. Aber auch zwischen den Jüdischen Gemeinden ist der Streit schon vorprogrammiert: Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold bekundeten bereits ihre Solidarität mit den Kirchenbesetzern.
Auch wenn sich Landeskirche, Kirchenkreis und Gemeinde von Streit und Besetzung nicht beeindrucken lassen: Die Besetzer der Paul-Gerhardt-Kirche bleiben stand- haft und ignorieren, dass ihnen zwischenzeitlich Strom und Wasser abgestellt wurden. Ein privater Gottesdienst am vergangenen Sonntag war besser besucht als der Abschiedsgottesdienst eine Woche zuvor. Hermann E. Geller: »Wir halten durch und schlafen weiter in der kalten Kirche.«