zeitgeschichte
Schimpfwort Kosmopolit
Arno Lustiger spricht über Antisemitismus im Ostblock
von Gideon Böss
»Das schändlichste Kapitel der DDR-Geschichte« nennt Arno Lustiger die Haltung der DDR zu den Juden. So gab es ab 1952 eine Kartei, in der alle Juden registriert wurden. »Zionist« galt als Synonym für Verräter, und im Gegensatz zu den Kirchen wur- den die jüdischen Gemeinden nicht oder kaum entschädigt. Diese Atmosphäre führte zu einer Massenflucht von Juden aus der DDR. Von den 6.000, die 1946 im Osten lebten, waren beim Mauerfall noch 300 übrig.
Der Historiker Lustiger ging in seinem Vortrag, der am 11. Juli im Rahmen der Ausstellung »Das hat’s bei uns nicht gegeben … Antisemitismus in der DDR« im Rathaus Köpenick (vgl. JA vom 12. Juli) stattfand, auch auf den Antisemitismus im übrigen Ostblock ein. Verschwörungstheorien über den immensen Einfluss der Juden wurden von den Kommunistischen Parteien gezielt verbreitet. Juden stünden hinter dem Kapitalismus und würden die USA regieren. Zeitungen druckten judenfeindliche Karikaturen im Stürmer-Stil. Schauprozesse wurden genutzt, um jüdischstämmige Kommunisten aus Führungspositionen zu vertreiben, wobei viele zum Tode verurteilt wurden.
Diese Kampagnen kontrastierte Lustiger mit den Leistungen, die jüdische Kommunisten erbrachten. 500.000 Juden kämpften in der Roten Armee gegen Hitler, das Jüdische Antifaschistische Komitee warb weltweit für die Unterstützung der Sowjetunion, und auch am Spanischen Bürgerkrieg beteiligten sich 6.000 Juden. Trotzdem begannen schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Verfolgungen und Unterdrückung. Das Jüdische Antifaschistische Komitee wurde aufgelöst und sein Vorsitzender Solomon Michoels ermordet. Obwohl Juden sich in großer Zahl an den Kämpfen gegen die Nazis beteiligt hatten, erklärte Erich Mielke nach dem Krieg: »Die Juden haben gelitten, aber nicht gekämpft.« Aktiv wurde die Veröffentlichung eines Schwarzbuchs verhindert, in dem der jüdische Widerstand gegen Hitler gewürdigt und zugleich die Judenvernichtung durch die Nazis dokumentiert werden sollte.
Mit der Frage, warum die Sowjetunion eine solche antisemitische Politik betrieb, beschäftigte sich auch Anetta Kahane. In ihrer Einführung zu Lustigers Vortrag erinnerte sie an eine Besonderheit jüdischen Lebens: »Durch die Diasporaerfahrung hatten Juden über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus Kontakt zu Verwandten. Ein Jude in Polen konnte in Ungarn, Deutschland und den USA Familie haben, etwas, was der christliche Pole normalerweise nicht hatte. Heutzutage ist das nichts Außergewöhnliches mehr, aber damals stellte das eine Eigenheit dar.« Die Kommunisten sahen darin eine Bedrohung. Nicht zufällig stellte der Begriff »Kosmopolit« ein Schimpfwort dar.
Wie tief die antisemitischen Weltbilder verwurzelt waren, macht ein Ereignis aus den letzten Jahren der DDR deutlich. Der damalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, reiste auf Einladung Erich Honeckers in die DDR und wurde mit der höchsten Auszeichnung geehrt. Im Gegenzug hoffte man darauf, dass Bronfman in den USA Türen öffnen könnte. Die DDR-Führung war damit auf die eigene antisemitische Propaganda hereingefallen.
Ein Zuhörer fragte, warum in der DDR nie Kritik an diesem Antisemitismus laut wurde. Lustiger erklärte es damit, dass »es für einen solchen Staat nicht angenehm ist, sich Antisemitismus einzugestehen. Etwas, was es laut Ideologie doch gar nicht geben konnte«. Scharf kritisierte er dabei die SED-Nachfolgepartei: »Es gibt nur sehr wenige in dieser Partei, die sich mit diesem Erbe kritisch beschäftigen. Das ist eine Schande.«