von Yitzhak Ahren
Gedanken über die Tora gehören zur jüdischen Tradition, von sinnreichen Auslegungen biblischer Verse über Aussagen zum menschlichen Leben bis zu lehrreichen Anekdoten. Der französisch-jüdische Publizist Victor Malka hat von Kindheit an solche Kurzkommentare und Bonmots gesammelt; eine Auswahl präsentiert er in seinem Buch Sterne der Weisheit, das Bernardin Schellenberger jetzt ins Deutsche übersetzt hat.
Der Untertitel, Perlen jüdischer Mystik, führt allerdings in die Irre. Er mag verkaufsfördernd sein – Mystik ist in – , aber ein Großteil der Texte ist keineswegs der mystischen Tradition zuzurechnen. An der talmudischen Vorschrift, laut der, abgeleitet aus Dewarim 11,15, ein Jude sein Haustier füttern soll, bevor er selbst zu essen beginnt, ist beim besten Willen nichts Mystisches, ebenso wenig wie in Raschis Satz: »Du sollst Dich nicht rächen und nichts nachtragen« (Vajikra 19,18). Rechtfertigen lässt sich der Hinweis auf jüdische Mystik allenfalls durch die Tatsache, dass Malka überproportional viele chassidischen Meister zu Wort kommen lässt.
Die Bonmots und Auslegungen hat Malka nach Sachgebieten geordnet. Zum Stichwort Toleranz zum Beispiel findet man den klugen Satz von Rabbi Pinchas von Koriz: »Du bist doch damit einverstanden, dass das Gesicht Deines Nächsten nicht dem deinigen gleicht. Dann sei auch damit zufrieden, dass seine Überzeugungen anders sind als die deinen!«
Schön auch diese Anekdote über zwei große Tora-Lehrer: Der Chafez Chaim wollte unbedingt die Juden davon abhalten, Verleumdungen auszusprechen. So kam ihm eines Tages die Idee, in allen Synagogen verkünden zu lassen, das Weitererzählen von Gerüchten sei eine genauso schwere Sünde wie das Essen von Schweinefleisch. »Tun Sie das nicht«, sagte ihm lächelnd sein Kollege Chaim Ozer. »Ich fürchte, die Leute werden eher anfangen, das Essen von Schweinefleisch für genauso harmlos zu halten wie das Verleumden, als dass sie das Verleumden für so schlimm halten würden wie das Essen von Schweinefleisch.«
So weit, so gut. Empfehlen kann man das Buch dennoch nicht. Dafür enthält es zu viele grobe Fehler. Nur ein paar Beispiele: Raschi hieß nicht Rabbi Schimon, sondern Rabbi Schlomo. Der Maharal von Prag lebte nicht im 14. Jahrhundert, sondern von 1525 bis 1612. Angeführt wird eine Erklärung von »Jakob Zwi von Kellenburg«, der in Wirklichkeit Mecklenburg hieß und in Königsberg amtierte. Sogar ein Vers der Tora wird falsch übersetzt. Im Dekalog heißt es: »Du sollst nicht ehebrechen.« (Schemot 20,13); Malka schreibt: »Du sollst Dich nicht prostituieren.« Nachgerade unerhört wird es, wenn Malka über den berühmten Frankfurter Rabbiner Samson Rafael Hirsch im 19. Jahrhundert schreibt: »Dass die Juden zur damaligen Zeit in ganz Osteuropa ungemein litten, kümmerte den großen Rabbiner nicht. Er war sich dessen offenbar nicht einmal bewusst.« Das stellt die Wahrheit auf den Kopf! Aus der soliden Hirsch-Biografie von E. M. Klugman wissen wir, dass der Rabbiner beeindruckend viel für die verfolgten Juden in Russland getan hat, bis hin zu einem langen Brief an Kaiser Wilhelm I., den er bat, sich beim Zaren für die russischen Juden einzusetzen.
victor malka: sterne der weisheit. perlen jüdischer mystik
Herder, Freiburg i. Br. 2007, 187 S., 11,90 €