Schamhaft schweigsam?
Antisemitismus unter Muslimen taucht im EU-Bericht nicht auf
von Ingo Way
Am Dienstag vergangener Woche stellte das in Wien ansässige EU-Büro zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) seinen Jahresbericht 2006 (für den Zeitraum des Jahres 2005) über Rassismus und rassistisch motivierte Straftaten in der Europäischen Union vor. Deutlich wird, daß vor allem die Gruppe der Roma fast überall in Europa unter erheblicher Diskriminierung zu leiden hat.
Als »besonders Besorgnis erregend« schätzt das EUMC jedoch die »zunehmende Islamfeindlichkeit« ein, während Antisemitismus in der Studie kaum gesondert problematisiert wird. Wenn von Antisemitismus die Rede ist, dann meist in der Sprachregelung »antisemitische und/oder islamophobe Vorfälle«. Das läßt aufhorchen. Die Direktorin des EUMC, Beate Winkler, hatte im Jahr 2003 eine Studie über Antisemitismus, die das EUMC beim Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung in Auftrag gegeben hatte, zunächst zurückgehalten, weil ihr die Untersuchungsergebnisse nicht gefielen: Als Protagonisten der meisten antisemitischen Übergriffe wurden muslimische Migranten und palästinensische Gruppen identifiziert. Erst auf öffentlichen Druck wurde die Studie schließlich veröffentlicht.
Bereits im Vorwort des neuen Jahresberichts werden die Anschläge britisch-muslimischer Selbstmordattentäter auf die Londoner U-Bahn allein unter dem Aspekt thematisiert, daß sie zu »Haßkriminalität« gegen Muslime geführt hätten (selbst also wohl nicht unter die Kategorie Haßkriminalität fallen). Ebenso wie die Aufstände in französischen Vorstädten werden die Londoner Attentate einzig auf »Diskriminierung und Ausgrenzung – insbesondere am Arbeitsplatz« und »die Erfahrung des ›Nichtdazugehörens’« zurückgeführt. Diskriminierung sei auch verantwortlich für die schlechten Chancen muslimischer Einwanderer und deren Nachkommen am Arbeitsmarkt. Aber ist das der einzige Grund für alle Probleme? Schließlich weisen Inder und Chinesen – im Gegensatz zu Pakistanern, Bangladeschis und Schwarzen aus der Karibik und Afrika – in Großbritannien kaum höhere Arbeitslosenraten auf als die Durchschnittsbevölkerung. In Großbritannien und den Niederlanden, beklagt der Bericht weiter, seien muslimische Schüler zudem Opfer »diskriminierender Kleidungsvorschriften«. Offenbar eine Anspielung auf Schuluniformen, die eine Diskriminierung gerade verhindern sollen und insofern ein Angebot zur Integration darstellen, das offenbar nicht immer auf Gegenliebe stößt.
Als vorbildlich im Kampf gegen Islamophobie wird die französische Nichtregierungsorganisation Collectif contre l’islamophobie en France vorgestellt, die zwischen Oktober 2003 und August 2004 26 verbale und physische Übergriffe gegen Muslime in Frankreich dokumentiert hat. Angesichts antisemitischer Straftaten im vierstelligen Bereich klingt es wie Hohn, Antisemitismus und Islamophobie auf eine Stufe zu stellen. Kaum nötig zu erwähnen, daß muslimischer Antisemitismus auch in diesem Bericht ein schamhaft verschwiegener Gegenstand bleibt.