von Bezalel Kogan
Darauf angesprochen, welches Tier nicht koscher ist, werden die meisten Juden wohl an erster Stelle das Schwein nennen. Auch wenn Hummerkrabben und Maulwürfe in gleichem Maße nicht koscher sind, so symbolisiert doch das Schwein geradezu das Wort »trejfe«.
Die ursprünglichen Quelle für diese Ablehnung ist sicherlich der zweite Abschnitt unserer Parascha. In dieser werden die grundlegenden Regeln der Kaschrut gelehrt. Dort heißt es: »Was unter den vierfüßigen Tieren geteilte Klauen hat, wovon nämlich die Klauen ganz durchgespalten sind, und was wiederkäuend ist, das dürft ihr essen« (3. Buch Moses 11,3). Im Anschluss an diesen Vers werden einige Tiere genannt, die diese Kriterien nicht erfüllen. Das Schwein ist als letztes Tier genannt: »Schließlich auch nicht das Schwein, denn es hat zwar geteilte Klauen, und seine Klauen sind durchgespalten, es käut aber nicht wieder. Dieses soll euch unrein sein« (11,7).
In den Beispielen dieses Abschnitts werden aber auch Kamel und Hase als Tiere genannt, die nicht zum Verzehr zur Verfügung stehen. Und dennoch ist die Ablehnung dem Schwein gegenüber die größte; wenngleich nicht in demselben Maße wie früher.
Bei genauerer Betrachtung der Anforderungen an ein koscheres Tier und dem Abgleich der Merkmale in Bezug auf das Schwein, kommen wir zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Ein koscheres Säugetier soll gespaltene Hufe haben und ein Wiederkäuer sein. Das Schwein erfüllt, im Gegensatz zu anderen Tieren wie dem Pferd, lediglich eine Anforderung nicht! Es hat gespaltene Hufe, aber es käut nicht wieder. Dies scheint also nicht die besondere Stellung des Schweins als Inbegriff des Treifenen zu rechtfertigen.
Verschiedene kritische Kommentatoren und Personen, die eine Ausrede suchten, warum sie sich nicht an die Kaschrut halten, liefern gerne das Argument, die Menschen früher hätten bemerkt, dass der Verzehr von altem Schweinefleisch in der Hitze bestimmte Krankheiten begünstige. Das ist hygienetechnisch nicht von der Hand zu weisen, zugleich kann aber dieses Argument auf die Tora nicht zutreffen. Es ist und war offenkundig, dass der Verzehr von schlechtem Fleisch krank machen kann. Für offensichtlich ungesunde Aktivitäten und Handlungen gibt die Tora aber sonst keine Vorschriften. Kein Gesetz muss es verbieten, vergammeltes Fleisch zu verzehren. Die wenigsten Menschen kommen auf die Idee, so etwas zu essen. Das kann also nicht der Grund für die Abscheu diesem Tier gegenüber sein.
Möglicherweise ist die Abscheu historisch begründet. Während der Herrschaft der Seleukiden unter Antiochus IV. wollte man die Menschen dazu zwingen, Schweinefleisch zu essen und schlachtete sogar auf dem Altar im Jerusalemer Tempel Schweine. Dies sollte öffentlich die Abwendung vom Judentum dokumentieren. In dieser Zeit zogen es einige Menschen vor, lieber den Märtyrertod zu sterben. So wird im Buch der Makkabäer von einem Mann namens Eleazar erzählt, der in der Öffentlichkeit Schweinefleisch essen sollte. Er weigerte sich und verwahrte sich sogar dagegen, nur so zu tun, als würde er es zu sich nehmen. Für diese Weigerung musste Eleazar sterben. Denkbar wäre auch, dass es die Verbindung zwischen religiöser und historischer Bedeutung ist, die das Schwein derartig unter den unkoscheren Tieren hervor- hebt.
Oder ist es Feuerbachs viel zitiertes Wort »Du bist, was du isst«? Damit ist nicht gemeint, dass man sich beschmutzt, wenn man Fleisch eines vermeintlich dreckigen Tieres verspeist, sondern vielmehr eine spirituelle Dimension der Vorgabe, man dürfe nur Tiere mit gespaltenen Hufen verzehren, welche zugleich auch wieder- käuen.
Die gespaltenen Hufe symbolisieren die Dualität, mit der wir auf dieser Welt existieren und in der die Welt existiert: Land – Wasser, Licht – Dunkelheit, Jakob – Esaw, die Menschheit – G’tt, Heilig – Unheilig, und so mancher würde wohl hinzufügen liberal – orthodox.
Mit unseren »Beinen« stehen wir in dieser Welt, doch was fehlt, ist die vernünftige Verarbeitung des Wissens über diese Welt, die beständige Reflektion dessen, was wir wissen. Erst das beständige Wiederkäuen macht uns vollständig.
Der chassidische Rabbiner Meir ben Jaakow aus Premischlan (1703-1773) erklärte die Besonderheit des Schweins und die Lehre daraus auf eine völlig andere Weise. Er erzählte dazu eine Geschichte: An einem Schabbat lud Rabbi Meir einen Gast zu sich ein. Dieser Gast war häufiger in der Stadt und kannte bereits einige Gemeindemitglieder. Während des Abendessens bemerkte Rabbiner Meir, dass sein Gast offenkundig sehr hungrig war; dabei wusste er von seinem Gast, dass er zuvor schon bei einem anderen Gemeindemitglied zum Essen geladen war. Zudem bei einem Gemeindemitglied, von dem es hieß, es sei recht wohlhabend. Warum also hatte der Mann seinen vorherigen Gastgeber hungrig verlassen? Nach einigen Malen erfuhr Rabbiner Meir den Grund: Der Gastgeber tischte für seinen Gast nur üppige und gute Mahlzeiten auf. Der Gast aber wollte seinem Gastgeber gegenüber nicht gefräßig erscheinen. Denn der aß so wenig, dass es dem Gast peinlich war, sich ordentlich zu bedienen. Obwohl also der Gastgeber aufgetischt hatte, verließ sein Gast das Haus hungrig und schämte sich.
Rabbiner Meir verstand diese Geschichte als Bild für die Vorschriften in unserem Wochenabschnitt. Der Gastgeber, der die Mizwa der Gastfreundschaft erfüllt, gleicht darin dem Schwein aus dem Wochenabschnitt. Es sieht mit seinen gespaltenen Hufen aus wie ein koscheres Tier, aber es ist kein Wiederkäuer – was man zunächst ja nicht sehen kann. Rabbiner Meir zog daraus den Schluss, dass ein Jude sich nicht wie der Gastgeber verhalten sollte. Wie das Schwein nicht koscher ist, weil es nicht wiederkäut, so ist die konkrete Mizwa hier nicht vollkommen erfüllt, weil die Gabe nicht aus vollem Herzen kam und denjenigen beschämte, der sie erhalten hatte.
Der Fassade nach ist alles koscher und vollkommen in Ordnung, was sich hinter der Fassade findet, ist es nicht. Dies ist einer der Gründe, warum die Tora das Schwein speziell nennt und warum seine negative Popularität so groß ist. Es sieht koscher aus, ist es aber nicht. Eine Mahnung an den Leser und Hörer der Tora, die Dinge nicht nur nach ihrem äußeren Anschein zu beurteilen. Auf der anderen Seite aber auch, Unkoscheres mit einem koscheren Etikett zu versehen beziehungsweise schlechten Taten das Deckmäntelchen der Heiligkeit überzuwerfen. Es geht also nicht nur um Nahrung!