von Constanze Baumgart
Mehr als 700 Jahre ist sie alt. Die jüdisch-türkische Freundschaft begann im 14. Jahrhundert. Sie erlebte ihre Blüte, als die sefardischen Juden nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel Ende des 15. Jahrhunderts im Osmanischen Reich eine neue Heimat fanden. Lange hielt die Freundschaft – zum Teil bis heute.
Über dieses hierzulande relativ unbekannte Stück jüdischer Geschichte sprach unlängst in der Kölner Synagogen-Gemeinde Naim Avigdor Güleryüz. Er ist türkischer Jude und Gründer des jüdischen Museums in Istanbul.
Doch nicht nur das Thema des Vortrags war ungewöhnlich, sondern auch die Gäste. Erstmals kamen zahlreiche Türken in die Synagogen-Gemeinde, unter ihnen der türkische Generalkonsul in Köln, Mustafa Asim Temizgil, die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün sowie Vertreter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB).
Eingeladen zu dem Vortrag hatte neben der Synagogen-Gemeinde die Ülkümen-Sarfati-Gesellschaft (ÜSG). Für sie war es der erste öffentliche Auftritt. Die ÜSG ist ein Kölner Verein, der 2004 von deutschen Juden und türkischstämmigen Deutschen gegründet wurde. Entstanden sei die Idee durch persönliche Freundschaften, erzählen die beiden jungen Vorsitzenden Marc Simon und Kemal Önel. Man habe festgestellt, daß man nicht nur eine gemeinsame Geschichte habe, sondern auch viele Gemeinsamkeiten als Minderheiten in Deutschland. Dazu zählen sie vor allem das fehlende Wissen vieler Deutscher über Judentum und Islam. Auch das erklärte Ziel, sich zu integrieren, ohne sich zu assimilieren, teilen sie. Was es bedeutet, sich erfolgreich zu integrieren, ohne seine Eigenheiten aufzugeben, ist eines der zentralen Themen des Vereins, der einen dauerhaften jüdisch-türkisch-deutschen Dialog anstrebt.
Benannt ist die Gesellschaft nach Selahattin Ülkümen (1914-2003), der als türkischer Generalkonsul auf Rhodos 1944 zahlreichen Juden das Leben rettete. Er stellte ihnen türkische Pässe aus und bewahrte sie damit vor der Deportation nach Auschwitz. Heute wird Ülkümen in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« geehrt.
Der zweite Namensgeber der ÜSG, Yitzhak Sarfati, war im 15. Jahrhundert Oberrabbiner in der Stadt Edirne, rund 200 Kilometer westlich von Istanbul. In einem Brief an die jüdischen Gemeinden in Europa rief er dazu auf, ins Osmanische Reich überzusiedeln, um dort Sicherheit und Wohlstand zu finden: »Ich verkünde euch, daß die Türkei ein Land ist, dem es an nichts fehlt, und wo, wenn ihr es wollt, alles gut für euch sein soll. Der Weg zum Heiligen Land steht euch offen durch die Türkei.«
Die Ülkümen-Sarfati-Gesellschaft möchte einen interkulturellen und interreligiösen Dialog in Gang setzen und durch Information zu mehr Verständnis und To- leranz beitragen, sagt Marc Simon. Dies gelte sowohl für die beiden Minderheiten untereinander, als auch für das Verhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der jüdischen und türkischen Gemeinde in Deutschland, erklärt Kemal Önel.
Und auch in einer ganz anderen Hinsicht teilen sie ein Problem: Über die Länder, denen sie sich verbunden fühlen – Israel und die Türkei – wird in den deutschen Medien häufig negativ berichtet. »Beide Länder haben ein Imageproblem«, sagen Simon und Önel.
Diese Gemeinsamkeiten und auch die Probleme sind nicht neu. Warum also wird eine solche Initiative erst jetzt auf den Weg gebracht? »Heute ist die Situation anders als vor 20 Jahren. Wir sind hier zusammen aufgewachsen, es gibt Kontakte und Freundschaften«, sagt Kemal Önel. Vermutlich Befangenheit und vor allem Unkenntnis haben es bislang verhindert, einen ersten Schritt auf den anderen zuzugehen.
Ähnlich sieht es auch Ronald Graetz, Vorstandsmitglied der Kölner Synagogen-Gemeinde. »Wir waren wohl zu sehr mit unseren eigenen Problemen beschäftigt.« Das mangelnde Wissen über den anderen verunsichere, sagt er.
Doch genau das könnte sich jetzt ändern: Inzwischen waren Vertreter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion erstmals zu Gast beim Rabbiner und dem Vorstand der Kölner Synagogen-Gemeinde. Bei der Führung durch die Synagoge unterhielt man sich lebhaft über die Inhalte beider Religionen, stellte Fragen und verglich. Beim anschließenden Essen im koscheren Restaurant rückten dann wieder der Alltag, Themen wie Antisemitismus und Antiislamismus, in den Vordergrund. Als »erstes Kennenlernen in einer sehr guten und überaus freundlichen Atmosphäre«, beschreibt Abraham Lehrer, ebenfalls Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde, das Treffen. Ob diese erste Begegnung einmal als Initialzündung bezeichnet werden kann, bleibt abzuwarten. Die Gegeneinladung wurde jedenfalls von der DITIB schon ausgesprochen.
www.sgk.de
www.ulkumen-sarfati.de
www.ditib.de