von Hans-Joachim Spanger
Teheran gehört nicht zu den bevorzugten Reisezielen russischer Staatsmänner. Zwischen dem letzten Besuch, der Josef Stalin 1943 zur Teheraner Konferenz der Alliierten im Krieg gegen Hitler führte, und Wladimir Putins Visite in der vergangenen Woche liegen 64 Jahre. Umso wichtiger sind die Signale, die von einem solchen Besuch ausgehen. Zumal dann, wenn der Gastgeber der Teheraner Konferenz 2007, Mahmud Ahmadinedschad, Drohungen ausstößt, die eine beklemmende Ähnlichkeit mit denen des deutschen Diktators aufweisen und sich offenkundig auch die geeigneten militärischen Mittel zu beschaffen sucht – in Form von Atomwaffen.
Während US-Präsident George W. Bush vor der Gefahr eines »dritten Weltkriegs« warnte, suchte Putin die in Teheran versammelten Anrainer des Kaspischen Meeres darauf einzuschwören, sich jeglicher militärischer Drohung zu enthalten. Während in Washington, Jerusalem, Paris und Berlin eine Verschärfung der Sanktionen gefordert wird, hält Moskau dagegen: Teheran sei damit nicht zu beeindrucken. Und: Bislang gebe es keine Beweise für eine nukleare Rüstung des Iran. Während der Westen auf eine Isolierung des iranischen Regimes setzt, scheint Russland ihm demons- trativ den Rücken stärken zu wollen.
Bis dahin hatte Moskau im Einvernehmen mit den USA und der EU-Troika gehandelt und die 2006 auf dem G8-Gipfel in Petersburg verabredeten UNO-Sanktionen gegen Teheran mitgetragen. Zudem war der Kreml im Januar 2006 ausnahmsweise selbst aktiv geworden und hatte mit Iran Verhandlungen über eine international überwachte Nuklearanreicherung in Russland aufgenommen. Erfolg hatte beides nicht.
Derzeit favorisiert der Kreml wieder eine Politik, die Iran etwas bieten soll – und sucht damit die Kosten einzudämmen, die Sanktionen auch ihren Urhebern aufbürden. Auf zehn Milliarden US-Dollar wollen Moskau und Teheran ihren Warenaustausch in den nächsten Jahren steigern. Dabei stehen das Atomkraftwerk Buschehr und die Interessen der russischen Rüstungsindustrie im Mittelpunkt. Mit annähernd 50 Prozent der globalen Gasförderung ist der Iran zudem ein unverzicht- barer Partner bei den russischen Sondierungen zur Schaffung einer »Gas-OPEC«. Von Teheran hängt es auch ab, ob Russland sein Transportmonopol für die kaspischen und zentralasiatischen Öl- und Gasvorräte bewahren kann. Gemessen daran halten sich die Differenzen über den Status des Kaspischen Meeres und dessen Aufteilung in Wirtschaftszonen in Grenzen.
Ambivalenter als die wirtschaftlichen stellen sich die geostrategischen Interessen dar. Russland will zwar eine atomare Bewaffnung des Iran verhindern und nutzt dies, um in Kooperation mit den USA sein wachsendes internationales Gewicht zu demonstrieren. Andererseits verbindet Moskau und Teheran das strategische Interesse, die USA aus der kaspischen Region herauszuhalten. Dass Putin gleichwohl die USA zur gemeinsamen Nutzung der Radarstation im aserbaidschanischen Gabala eingeladen hat, verdeutlicht den Balanceakt, aber auch die eigentlichen russischen Prioritäten: Die US-Raketenabwehrpläne werden der strategischen Kooperation mit Iran untergeordnet.
Putin hat in Teheran folglich ein Lehrstück kühl kalkulierender Interessenpolitik abgeliefert. Diese hat jedoch Grenzen. In den Köpfen der Moskauer politischen Klasse sprießen zwar die globalen Geltungsansprüche einer Energiesupermacht – von einer globalen Ordnungsmacht ist Russland aber weit entfernt. Dafür fehlt der Führung der moralische Kompass.
Das zeigt sich auch in der Innenpolitik. Der Kampf, den Putin gleich nach seinem Amtsantritt gegen die Oligarchen zu führen begann, hat bislang drei prominente Opfer gefordert, die dreierlei verband: politische Ambitionen, die Putins innenpolitischem Thermidor im Wege standen, Wirtschaftsinteressen, die er für den russischen Staat reservieren wollte, und das Judentum. Zwar ging es Putin vor allem darum, durch die kalte Enteignung von Wladimir Gusinskij und Boris Beresowskij die elektronischen Medien und über Michail Chodorkowskij einen großen Teil der Ölförderung unter die Kontrolle des Staates zu bringen. Dass dabei in der russischen Öffentlichkeit auch eifrig auf der antisemitischen Klaviatur geklimpert wurde, fügte sich in die xenophob-patriotische Grundstimmung nach den 90er-Jahren der Erniedrigung. Der Kreml hatte später einige Mühe, die Geister wieder einzufangen, die sei- ne Aktionen gerufen hatten.
Russische Politik: Das ist heute die ideologie- und moralfreie Vertretung von nationalen Interessen. Strukturkonservativ, aber eben auch blind für Herausforderungen. Und taub für Worte, die das Ende eines Staates androhen.
Der Autor ist Mitarbeiter der »Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung«.