von Hannes Stein
»Großartig geht es uns in Israel!«, ruft Leah Scheier ins Telefon. Sie lebt jetzt in Modi’in, einem Städtchen westlich von Jerusalem. Eigentlich aber kommt sie aus Atlanta, Georgia. Im September 2008 ist sie aus Amerika hierher ausgewandert – zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern. »Mein Mann wollte Alija machen, seit er mit 18 eine Jeschiwa in Jerusalem besucht hat.« Sie hat den großen Schritt ins Gelobte Land mit ihm nun unter zwei Bedingungen gewagt: »Unsere Kinder sollen glücklich sein. Und ich möchte, dass die Familie ein Dach über dem Kopf und immer genug zu essen hat.« Beide Bedingungen wurden erfüllt. Die Scheiers sind Ärzte, im Augenblick gibt es einen eklatanten Mangel an Ärzten in Israel. Leah und ihr Mann fanden schnell Beschäftigung.
Bei der Einwanderung half den Scheiers die Organisation Nefesh B’Nefesh, die 2002 von Rabbi Yehoshua Fass und dem Philanthropen Tony Gelbart gegründet wurde. Laut Wikipedia hat Nefesh B’Nefesh bis heute 16.000 Juden aus Großbritannien und Nordamerika bei der Alija geholfen. Renana Levine, die Pressesprecherin der Organisation, besteht darauf, dass das gar nicht stimmt: Mittlerweile, sagt sie, seien es längst 18.000 Olim.
Wenn Renana Levine nicht maßlos übertreibt, handelt es sich bei Nefesh B’Nefesh um so etwas wie eine jiddische Mamme für »Anglos«, wie englischsprachige Juden in Israel heißen. Am wichtigsten: Der bürokratische Papierkrieg wird so brutal wie konsequent noch vor der Übersiedlung durchgefochten. »Unser Ehrgeiz ist darauf gerichtet, dass unsere Schützlinge nach ihrer Ankunft ein Jahr lang nichts mit israelischen Behörden zu tun haben!«
Leah Scheier bestätigt, dass die von Nefesh B’Nefesh eingefädelte Prozedur wirklich wie am Schnürchen gelaufen sei. »Zwei Tage nach unserer Ankunft hielten wir schon die Te’udat Sehut, den Ausweis, in der Hand.« Andere Serviceleistungen, die Nefesh B’Nefesh anbietet: Es gibt finanzielle Beihilfe für den Umzug. Wer Israel innerhalb von drei Jahren wieder verlässt, muss den Kredit zwar zurückzahlen – aber jeden Neueinwanderer, der dableibt, kostet die Übersiedlung keinen Dollar und keinen Schekel. Selbstverständlich gibt es außerdem eine Jobbörse und Hilfe bei der Wohnungssuche.
Dem Klischee zufolge handelt es sich bei den meisten »Anglos« in Israel um Siedler, die im Westjordanland leben und furchtbar rechts sind. Klickt man sich auf der Website von Nefesh B’Nefesh durch die Beschreibungen der verschiedenen Städte in Israel, scheint dieses Klischee sogar zu stimmen. Beispiele: Gut ein Drittel der Einwohner von Efrat spricht Englisch als Muttersprache. Die Siedlung Neve Aliza wird sogar zu 98 Prozent von »Anglos« bewohnt. Bei Tel Aviv sieht die Sache deutlich anders aus: »Viertel, die hauptsächlich von ›Anglos‹ bewohnt werden, existieren nicht. Es gibt zwar englischsprechende Olim, aber ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung von Tel Aviv ist gering.«
Viele der amerikanischen Juden, die nach Israel auswandern, sind religiös, und manche von ihnen gehören dann tatsächlich der Siedlerbewegung an. Aber viele amerikanische Olim sind gar nicht orthodox, sondern konservativ – so wie Leah Stern, eine Nachrichtensprecherin aus Miami Beach, die heute in Jerusalem lebt. Eigentlich, so räumt sie ein, ist sie als Kind mit ihren Eltern sogar häufiger in die Synagoge gegangen, als sie es heute tut. Jedenfalls sieht sie keinen Grund, warum sie mit den Traditionen brechen sollte, mit denen sie aufgewachsen ist. Eine fromme Fanatikerin wird sie nie sein. »Ich hatte zwei Ziele, als ich Alija gemacht habe«, sagt sie. »Ich wollte zum Fernsehen, und ich wollte einen netten jüdischen Mann finden. Eines dieser Ziele habe ich erreicht.«
Die wichtigste Änderung, die Nefesh B’Nefesh bewirkt hat, betrifft wahrscheinlich gar nicht die harten Fakten wie Umzugskosten, Wohnungs- und Jobsuche, sondern die Psychologie. Amerikanische Juden, die mit dem Gedanken an die Auswanderung gespielt, aber nie den letzten Schritt gewagt hatten, fühlen sich nun über den Hügel des Zweifels geschubst. Das, von dem man früher glaubte, es könnte vielleicht irgendwann infrage kommen, sei im Moment aber leider nicht realistisch, erscheint in den Bereich des Möglichen gerückt.
Außerdem hat es einen Ruck in der Wahrnehmung der Alija gegeben: Unter amerikanischen Juden gilt es plötzlich wieder als cool, den zionistischen Traum in die Tat umzusetzen. »Früher war die Reaktion, wenn man sagte, dass man nach Israel geht: »Was denn, es gibt immer noch Leute, die das tun?«, erinnert sich Renana Levine. »Heute sagen die Leute: »Tolle Idee!« Dabei wird der Antisemitismus in Amerika – anders als in Europa – weder lauter noch stärker. Synagogen gleichen in New York und Los Angeles nicht Festungen, und die Hardcore-Feinde des Staates Israel geben am Stammtisch und im Fernsehen keineswegs den Ton an.
Ob Nefesh B’Nefesh daran denkt, künftig auch Juden aus Europa bei der Alija zu unterstützen? »Nein«, sagt Renana Levin. Eher wird man sich um Juden in Australien, Neuseeland und Südafrika kümmern. Die Anglosphäre hat es wieder einmal deutlich besser als der Rest der Welt.