Der erste Sonntag im September gehört zum elften Mal in rund 30 europäischen Ländern ganz der jüdischen Kultur. Das Gemeindezentrum am Jakobsplatz öffnet nun schon zum dritten Mal seine Türen für dieses besondere Kulturprojekt. »Seit wir unser Zuhause hier am Jakobsplatz haben, können wir erst richtig an diesem Tag teilnehmen«, freut sich Ellen Presser, die Leiterin des Kulturzentrums der IKG, und erzählt nicht ohne Stolz, dass in den beiden vergangenen Jahren jeweils etwa 1000 Besucher den »Europäischen Tag der jüdischen Kultur« im Gemeindezentrum besucht haben.
Das Interesse am jüdischen Leben in der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands mit knapp zehntausend Mitgliedern ist ungebrochen hoch. Seit ihrer Eröffnung haben über 100.000 Besucher die Synagoge Ohel Jakob besichtigt. Klar, dass auch an diesem sonnigen Ferientag wieder besonders viele Besucher zum jüdischen Kulturtag, der unter dem Motto »Feste und Traditionen« steht, strömen. Um elf Uhr ging es »Auf jüdischen Spuren« durch die Münchner Innenstadt. Der Kunsthistoriker Chaim Frank führte die zahlreichen Teilnehmer zu den Orten der bayerischen Hauptstadt, die mit jüdischer Geschichte eng verbunden sind. Wegen des großen Andrangs wurde der Rundgang nicht nur, wie geplant einmal, sondern gleich dreimal durchgeführt.
Alltag Der Leiter für religiöses Erziehungswesen der IKG, Marcus Schroll, sowie Ellen Presser führen die Besucher in die Synagoge und machen sie mit der Welt der jüdischen Religion und Tradition vertraut. Über Feste und Traditionen erzählt auch eine große Fotoausstellung im Foyer des Gemeindezentrums. Auf den Bildern der Fotografen Daniel Schvarcz, Laurent Soussana und Vitaly Uschakov sind Szenen und wichtige Attribute des jüdischen Lebens dokumentiert. Jüdischen Alltag und den Festtagszyklus zeigen die Bilder genauso wie die Hawdalah-Zeremonie, eine Hochzeit unter der Chuppa, Bat Mizwa und das Purim-Fest. Ein Bild erinnert an den Holocaust-Gedenktag, Jom Haschoa, der auch zum jüdischen Jahreszyklus gehört. Untrennbar mit jüdischer Kultur verbunden ist die Welt des Buchs. Neben dem Bücherflohmarkt zugunsten der IKG-Bibliothek, der viele Buchliebhaber anzieht, ist es vor allem der Büchertisch der Literaturhandlung, der davon mit einer breiten Palette von Literatur rund ums Judentum zeugt. Von jüdischen Kalendern und Postkarten über Kochbücher, Kinderliteratur und die klassischen jüdischen Werke bis hin zu Neuigkeiten der literarischen Produktion.
Lesung Der Höhepunkt des Tages war dann die Autorenlesung am Nachmittag. Die preisgekrönte Schriftstellerin Mirjam Pressler liest aus ihrem Roman »Nathan und seine Kinder« und führt ein Gespräch mit Ellen Presser. Der klassische Stoff des Dramas »Nathan der Weise« von Gotthold Ephraim Lessing dient dabei Mirjam Pressler als Vorlage für ihren Roman. Im Mittelpunkt steht, wie bei Lessing, die schwierigste aller Fragen: Welche Religion ist die einzig wahre? und Nathans Antwort mit der berühmten Ringparabel. Dass dies auch heute noch ein brandaktuelles Thema ist, beweist das angeregte Gespräch zwischen Publikum und Autorin nach der Lesung. Der Tag klingt aus mit einem Konzert des Tenors Enrique Ambrosio und der Pianistin Angela Maria Stoll. Der junge Sänger, dessen Vater wegen seiner jüdischen Wurzeln aus Italien nach Mexio emigrierte, beschäftigt sich mit der europäischen Musiktradition und gestaltet ein musikalisches Potpourri unter dem Motto »Lieder gehen um die Welt«. Klassische Lieder von Giacomo Meyerbeer und Maurice Ravel, traditioneller Ladino und jiddische Musik stehen dabei auf dem Programm. Zuletzt stimmt Enrique Ambrosio die Hava Nagila an. Das begeisterte Publikum applaudiert lang.
ausklang So geht der »Europäische Tag der jüdischen Kultur« am Jakobsplatz zu Ende. Den ganzen Tag über standen die Türen des Gemeindezentrums offen. Koscherer Wein und israelische Spezialitäten wurden von früh bis spät vom Restaurant Einstein angeboten. Es gab Rundgänge und Synagogenführungen, jüdisches Essen und jüdische Bücher, eine Lesung und einen Liederabend – ein Tag der jüdischen Kultur im Herzen Münchens.