von Rabbiner Baruch Rabinowitz
Die zwei Wochenabschnitte Behar und Bechukotai, die diese Woche gelesen werden, schließen das dritte Buch Moses ab. Unser Hauptthema diesmal ist die von Gott bestimmte Zeite. »Alles hat seine Stunde«, lehrte König Solomon. »Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen ... eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen« (Kohelet, 3, 1-2,6).
Im Judentum spielt die Zeit eine ganz besondere Rolle. Schon am Anfang der Schöpfungsgeschichte erfahren wir, wie Gott zwischen Tag und Nacht und Jahreszeiten unterscheidet. Die biblischen Feiertage werden oft mit dem hebräischen Wort »Moed« bezeichnet, was Gottes ausgewählte Zeit bedeutet. Die Zeit, wenn wir eine ganz besondere Einladung von Gott bekommen um Ihm zu begegnen. Und sie gelten nicht nur den Menschen, sondern auch ganzen Schöpfung.
So fängt unsere Parascha mit den Gesetzen des siebten Jahres, der Schmita, an, in dem das Land von Menschen ungestört bleiben soll. »Sechs Jahre hindurch kannst du dein Feld besäen und deinen Weinberg beschneiden und die Früchte davon einsammeln. Im siebten Jahr aber soll das Land eine hohe Feier halten, eine Feier dem Ewigen zu Ehren. Dein Feld sollst du nicht besäen, deinen Weinberg nicht beschneiden« (3. Buch Moses, 25, 3-4).
Menschen, die diese Gesetze einhalten und die Erde ruhen lassen, werden gesegnet, verspricht die Tora. Wenn nicht, müssen sie mit einem Fluch rechnen. In einem langen Kapitel wird es ausführlich beschrieben, und dieser Text gehört zu denen, die nicht gerne in der Synagoge gelesen werden. Die Tora droht mit Krankheiten, Naturkatastrophen, Exil und Tod. »Euch aber will ich unter die Völker zerstreunen ... Wenn dann euer Land wüst und eure Städte öde werden, so wird das Land seine Feierzeiten erstatten, so lange es nämlich wüst sein wird ... Da wird das Land feiern und seine Feierzeiten erstatten« (3. Buch Moses, 26, 33-35).
Obwohl es uns ganz unheimlich erscheint, ist dieses Kapitel mit sehr großer Weisheit erfüllt. Die Tora lehrt uns, daß wir mit unserer Natur sehr sorgfältig umgehen müssen. Wir dürfen die Schöpfung Gottes nicht unnötig herausfordern. Wir brauchen die Zeit, uns auszuruhen und zu regenerieren. Das braucht auch unsere Umwelt, in der wir leben. Die Naturkatastrophen, die uns in der letzten Zeit immer häufiger heimsuchen, sind die Warnungen, daß wir vielleicht nicht genug Achtung und Liebe für den uns gegebenen Lebensraum zeigen.
Der Mensch und die Natur sind miteinander vital verbunden. Ein anderes Wort für Land auf hebräisch ist Adama, so wie Adam (der Mensch), der aus Erde geschaffen wurde. Die Tora lehrt, daß der Mensch sich als Adam, Teil der Erde sehen soll und sich um die Natur genau so kümmern soll wie um sich selbst. Wir müssen sie als ein lebendiges Wesen betrachten und uns selbst als ein Element, das mit ihr organisch verbunden ist. Und sie braucht auch ihre Feierzeiten. Der menschliche Körper und die Seele müssen sich erholen, die notwendige Nahrung bekommen und die Kraft für die kommende Arbeitswoche wieder finden. Für diesen Zweck haben wir den Schabbat. Wenn nicht gepflegt, kann unserer Körper krank werden. Viel zu wenig Schlaf löst emotionalen Streß und Depressionen aus. Mangelnde Nahrung macht einen schwach.
Das gleiche gilt auch für unsere Umwelt. Der Mensch darf nicht nur konsumieren und ausnutzen. Wir wollen es ja auch nicht, ausgenutzt zu werden! Die Umwelt zu pflegen und ökologisch bewußt zu leben, ist ein göttliches Gebot.
Das biblische Wort Feier bedeutet einen Zustand der absoluten Ruhe. Zu feiern heißt zu sich zu kommen und ungestört zu bleiben. In unserer lärmenden Gesellschaft wird es genau andersrum verstanden. Wir feiern Partys, zu denen unbedingt eine große Lautstärke gehört und alles dazu dient, von sich abgelenkt zu werden. Vielleicht deswegen dominiert in der Welt Streß statt Ruhe, Lärm statt Stille, Hektik statt Gelassenheit. Für sich eine ruhige Nische zu schaffen, wird immer schwieriger, obwohl immer mehr Menschen sich danach sehnen. Wir und die Erde, aus der wir geschaffen sind, brauchen Zeit, in der wir zu uns selbst finden können. Jede Woche haben wir den Schabbat zum Geschenk, ein Tag, den wir Gott, unserer Seele und unserem Körper widmen können. Ab und zu brauchen wir aber eine längere Pause, um uns an unseren Urquell zurückzubesinnen. Ein Schabbat-Jahr, in dem wir uns genau so wie die Erde erneuen können und dann mit neuer Kraft unseren Aufgaben nachgehen.
Der Segen und der Fluch sind nichts anderes als Folgen unseres Handelns. Wir leben in der Welt, in der die allgemeinen Naturgesetze beachtet werden müssen. Sie zu brechen, bedeutet, sich selbst zu bestrafen, sie einzuhalten – in Harmonie zu leben und von Gott und Natur reichlich gesegnet zu werden.
Wir sollten für uns die biblische Form des Feierns wieder entdecken, wenn wir nicht nur uns, sondern auch der Schöpfung Ruhe gönnen. Nicht nur arbeiten, sondern auch ruhen, ist etwas, was man in der modernen Gesellschaft lernen muß. Ruhen und ruhen lassen. Sich selbst und die Natur loszulassen, bedeutet gleichzeitig, mit sich selbst und mit ihr in Harmonie zu leben. Wenn wir das befolgen, wird die Natur sich auch bei uns mit einem großen Segen bedanken. Wie es geschrieben steht: »Ihr werdet Lebensmittel zur Genüge zu essen haben und sicher in eurem Land wohnen. Ich werde eurem Land Frieden geben, so daß ihr liegt und niemand euch stört.«
Behar-Bechukotai: 3. Buch Moses 25,1 - 27,34