Herr Rabbiner Berger, als Papst Benedikt XVI. die Kölner Synagoge 2005 besuchte, wurde das katholische Kirchenoberhaupt stürmisch begrüßt. Sie sagten damals die Einladung ab, warum?
berger: Weil mir Persönlichkeit und Denkart von Benedikt XVI. bestens bekannt war. Ich denke an den Fall des jungen katholischen Paters Georg Bulanyi, der im Zuge des Ungarnaufstands 1956 wegen Widerstands gegen die kommunistische Diktatur eingesperrt war, fast exkommuniziert wurde und keine Messen mehr zelebrieren durfte. Vergeblich versuchte er 1978 und 1989 seine Rehabilitierung bei Papst Johannes Paul II. zu erreichen. Dieser leitete Bulanyis Anliegen an den Vorsitzenden der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, weiter. Beide Male bestätigte Ratzinger indirekt die Entscheidung der damaligen kommunistisch unterwanderten Amtskirche in Ungarn.
Sehen Sie sich jetzt in Ihrer Haltung bestätigt?
berger: Ich sehe mich schon seit langer Zeit bestätigt, was das Oberhaupt der Katholiken betrifft. Er ist eine ambivalente Persönlichkeit, ein unumstritten gebildeter Gelehrter. Andererseits verfolgt er bedenkenlos politische oder kirchenpolitische Zwecke ohne Rücksicht auf berechtigte Sensibilitäten.
Nimmt der Papst die Irritationen als Kollateralschäden billigend in Kauf?
berger: Die Einheit der Kirche steht für ihn im Vordergrund. Er will die konservativen Kräfte binden. Und er weiß, dass er die Juden mit Gesten wie dem Besuch an der Klagemauer beeindrucken kann.
Wie ist es in einer solchen Situation um den christlich-jüdischen Dialog bestellt?
berger: Wir sollten einander diakonisieren, gegenseitige Hilfe leisten, brüderliche Nächstenliebe üben, aufklären, über einander lernen, aber nicht bekehren. Die Gedankenlosigkeit, die Rücksichtslosigkeit bis hin zu unverantwortlichen Äußerungen, die an die Grenze der Judenfeindlichkeit reichen, sind nicht geeignet für einen Dialog.
Die Basisarbeit im christlich-jüdischen Dialog befürworten Sie aber weiter?
berger: Auf jeden Fall. Ich plädiere dafür, dass wir in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen mehr miteinander arbeiten. In Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise die Sonntagsarbeit oder die schleichende Verbreitung rassistischen Gedankenguts könnte eine Gemeinsamkeit zwischen den Kirchen und Juden postuliert und formuliert werden. Hierbei nehmen uns bislang die Kirchen selten mit.
Bald begehen wir wieder die Woche der Brüderlichkeit, sind Juden dort fehl am Platze?
berger: Natürlich nicht. Damit es aber zu einem fruchtbaren Dialog kommen kann, müssen sich beide Seiten gleichberechtigt einbringen. Leider haben wir aber nicht immer die Kapazität sowie genügend qualifizierte dialogerfahrene Persönlichkeiten dafür, da wir einfach zahlenmäßig unterlegen sind. Zweitens ist für uns die Integration der jüdischen Zuwanderer und ihrer Kinder wesentlich wichtiger und für unsere Zukunft in diesem Lande entscheidender.
Mit dem ehemaligen Landesrabbiner von Württemberg sprach Heide Sobotka.