von Lars Weber
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden von Paris, Joel Mergui, zeigt sich besorgt über die Auswanderung französischer Juden nach Israel. »Die Verbindung und die Identifikation mit Israel war stets ein zentraler Punkt der Gemeindearbeit. Ich glaube, dass uns dies zu gut gelungen ist. Nun befürchte ich, dass der starke Israelbezug zu einem Ausbluten der Pariser Gemeinden führen könnte«, erklärte Mergui in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz. 3.000 französische Juden emigrieren jedes Jahr nach Israel.
Der Gemeindevorsitzende schätzt, dass nur ein Drittel der französischen Juden aus aktiven Gemeindemitgliedern besteht, die ihre Kinder auf jüdische Schulen schicken. Ein weiteres Drittel sei wenig religiös, integriere sich aber in die Gemeinden. Das letzte Drittel befinde sich zwischen diesen beiden Gruppen und müsse, so Mergui, auf die Seite der Gemeinden geholt werden. Mergui beklagt, dass immer mehr Hochzeiten und Bar Mitzwa von französischen Juden in Israel stattfänden: Die Hälfte der 800 jüdischen Paare aus Paris, die 2006 heirateten, habe sich das Ja-Wort in Israel gegeben. Dadurch kämen immer weniger Personen in Synagogen oder Gemeindeeinrichtungen, was zu deutlich geringeren Einnahmen und Spenden führe.
»Unsere Verantwortung für Israel darf nicht bedeuten, dass wir unsere Gemeinden vernachlässigen«, fordert Mergui, der für jeden Auswanderer ein neues Gemeindemitglied gewinnen möchte. Dafür soll verstärkt Religionsunterricht in nichtjüdischen Schulen angeboten werden. Der Pariser Gemeindevorsitzende befürchtet, dass sich die Gemeinden sonst in 20 Jahren halbiert haben werden.
Der Präsident des Repräsentativrates der Jüdischen Institutionen (CRIF), Richard Prasquier, hatte in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen vom 7. Juni ebenfalls die besondere Bindung französischer Juden an Israel betont. Prasquier zufolge, der selbst Verwandte in Israel hat, reist die Hälfte der 600.000 französischen Juden jedes Jahr dorthin. Der Umgang des CRIF mit der Frage der Emigration ist aber ein anderer als der von Mergui. Vor wenigen Tagen veranstaltete der CRIF zusammen mit der »Israelischen Bewegung der Frankophonie« ein Konzert in Natanya, um die Solidarität der französischen Juden und der frankophonen Israelis für Israel zu zeigen. Prasquier erklärte, dass eine Ausreise nach Israel heute keinesfalls für immer sein müsse: »Manche fliegen donnerstags hin und sonntags zurück. Andere fliehen vor dem Winter, kommen fürs Studium oder den Ruhestand. Das ist sehr positiv, da wir Franzosen sonst nicht für Flexibilität bekannt sind.« Der CRIF sei keinesfalls gegen die Aliyah, hoffe aber, dass diese aus Überzeugung und nicht aus Flucht vor dem Antisemitismus erfolge.
Auch CRIF-Mitglied Ariel Goldman sieht in der Auswanderung keine Gefahr: »Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich ist stark, nicht zuletzt wegen der engen Bindung zwischen Frankreich und Israel. Merguis Anliegen hat den CRIF vor 25 Jahren beschäftigt, aber heute nicht mehr«, sagte Goldman zur Haaretz.