von Sabine Brandes
Es war ein Treffen der besonderen Art: Jüdische Mohels und muslimische Beschneidungsexperten kamen in der vergangenen Woche mit israelischen Medizinern sowie Vertretern der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) in Jerusalem zusammen. Das Thema: Beschneidung gegen AIDS. Die WHO arbeitet derzeit an einem Programm, das mit Beschneidungen gegen HIV-Infektionen vorgeht. Es wird bereits darüber nachgedacht, in Gegenden mit hoher HIV-Rate, vor allem in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, zukünftig eventuell sogar Beschneidungen in großem Ausmaß durchzuführen.
In den vergangenen Jahren hat die medizinische Forschung herausgefunden, daß die Entfernung der Vorhaut am männlichen Geschlechtsorgan das Risiko reduziert, mit dem HIV-Virus infiziert zu werden oder andere damit zu infizieren. Sechs von zehn Männern, so die Ergebnisse, seien durch Beschneidung geschützt. Weltweit sind jedoch lediglich ein Fünftel der Männer aus religiösen, medizinischen oder kulturellen Gründen beschnitten.
Der Grund für den Schutz ist biologischer Art: Erstens minimiert die Entfernung der Vorhaut die Fähigkeit des Virus, die Haut des Penis zu penetrieren. Zweitens befinden sich an der Unterseite der Vorhaut Zellen und andere besondere immunologische Körper, die vom Virus angegriffen werden. Außerdem wird vermutet, daß kleine Wunden an der Innenhaut das Virus leichter in den Körper eintreten lassen.
Der Mediziner Inon Schenker vom Jerusalemer AIDS-Projekt JAIP erklärt, warum die WHO gerade von Israel Hilfe erwartet: »Diese Initiative ist entstanden, weil Israel eines der wenigen Länder der Welt ist, das derart umfassende Erfahrungen bei der Beschneidung sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen hat.« Fast einhundert Prozent der israelischen Männer sind beschnitten, mit Ausnahme einiger weniger Neueinwanderer. Die Vertreter der Weltgesundheitsorganisation wollten sich vor der Entscheidung für die Veröffentlichung einer klinischen Indikation mit herausragenden Fachleuten beraten.
»Man muß die Nachricht verbreiten, daß eine Beschneidung das Risiko verringert, sich mit HIV anzustecken, sie jedoch kein vollständiger Schutz davor ist«, machte Schenker deutlich. »Die Menschen sollen sich nicht zurücklehnen und meinen, sie könnten dann von Bett zu Bett hüpfen. Denn vier von zehn beschnittenen Männern können immer noch infiziert werden. Das Fehlen der Vorhaut ist kein durchsichtiges Kondom.«
Vor allem die Beschneidung bei Erwachsenen war Thema des Treffens, da das Problem jetzt akut sei, so die Vertreter der WHO. Zwar war die einhellige Meinung der israelischen Mediziner und Mohels, daß gerade Babys beschnitten werden sollten, vor allem wegen des geringen medizinischen Risikos. Auch der Eingriff bei Erwachsenen sei nicht kompliziert. »Wenn ein erwachsener Mann be- schnitten wird, um die Gefahr zu mildern, mit dem Virus infiziert zu werden, kann man den Eingriff definitiv als lebensrettend bezeichnen«, meint Joram Mor von der urologischen Abteilung des Scheba Medical Center Tel Haschomer dazu.
In erster Linie ist die WHO an den technischen Details interessiert und hofft dabei auf das umfassende israelische Know-How. Wie werden die Beschneider ausge- bildet? Welche Operationstechniken sind die besten? Was kann bei Komplikationen unternommen werden, und welche Untersuchungen sollten im Vorfeld durchgeführt werden? Besonders wichtig ist es der Weltgesundheitsorganisation zudem, die nötigen hygienischen Voraussetzungen zu schaffen. Diese seien nämlich in den ärmeren afrikanischen Ländern oft katastrophal.
Eine südafrikanische Studie kam zu dem Schluß, daß die Wirksamkeit der Beschneidungen mit der eines Impfstoffes vergleichbar ist. Aktuelle Erhebungen in Kenia und Uganda zeigen, daß sich mehr Männer nach Beschneidungen erkundigen. Dabei soll auch erforscht werden, ob Frauen beim Geschlechtsverkehr mit beschnittenen Männern ebenfalls signifikant besser geschützt sind. Noch ist das Programm der WHO nicht so weit entwickelt, um großflächig in die Tat umgesetzt zu werden. Nach Auskunft der Organisation muß weiter geforscht werden. Danach aber sollen die Empfehlungen der Behörde direkt an die Regierungen der afrikanischen Länder weitergeleitet werden. Sambia und Swaziland haben sich bereits als Pilotprojekte angeboten. Hier raten die Behörden ihren männlichen Einwohnern ohnehin, sich beschneiden zu lassen.
Prominente Hilfe bekommt die Initiative aus den Vereinigten Staaten: Der ehemalige Präsident Bill Clinton verkündete jüngst auf einer AIDS-Konferenz in Kanada, daß die Tabus in Sachen Beschneidung nun endlich ad acta gelegt werden müßten. Im Dienst der Gesundheit.