von Elke Wittich
Wie Rachel Singer von der zionistischen Frauenorganisation WIZO geht es in diesen Tagen sicherlich vielen Mitarbeitern der jüdischen Hilfsorganisationen. Sie sitzen an den Telefonen, sammeln für die vom Hisbollah-Beschuß bedrohten Menschen in Nordisrael und würden viel lieber selber vor Ort helfen. »Aber wir können ja hier auch eine Menge bewirken«, sagt die WIZO-Vorsitzende.
Was, das erlebte ihre Kollegin Esty Sharel aus Frankfurt, die während des Urlaubs in Tel Aviv vom Kriegsausbruch überrascht wurde. Frauen und Kinder, die vor den Raketen fliehen mußten, werden in Einrichtungen der internationalen zionistischen Frauenorganisation untergebracht. Eine Gruppe von 40 autistischen Kindern fand so neben 500 weiteren Evakuierten beispielsweise in der Landwirtschaftsschule Hadassim Unterschlupf. Dazu kommt die individuelle Betreuung. »Bei Bedarf werden zur Vermittlung der Wohnungsuchenden Dolmetscherinnen eingeschaltet. Jeder wird nach seinen Bedürfnissen betreut, religiöse Menschen kommen zum Beispiel in religiöse Familien«, berichtet Sharel. Eine blinde Frau und ihr Mann, der täglich zur Dialyse muß, brauchen einen Platz zusammen mit ihrer Betreuerin. Eine junge Frau, die gerade frisch entbunden hat und ganz allein dasteht, braucht Hilfe. Eine neu eingewanderte Familie aus Argentinien mit sechs Kindern, die kaum Hebräisch sprechen, sucht eine Unterkunft. Jugendliche müssen versorgt werden, die einfach per Anhalter aus dem Norden nach Tel Aviv kommen und am Strand übernachten. Und selbst Haustiere müssen mit untergebracht werden.
Unterbringung und Versorgung der derzeit 300.000 Evakuierten kosten natürlich eine Menge Geld. »Zusätzliches Geld«, sagt Rachel Singer. »Die normalen Programme und damit eben auch die normalen Ausgaben laufen ja weiter.«
Ähnlich ergeht es auch Keren Kayemeth LeIsrael, deren Hauptaufgabe in normalen Zeiten die Wiederaufforstung in Israel ist. Die Wälder in Nordisrael stehen durch den Raketenbeschuß in Flammen. 700 Hektar, das sind über eine halbe Million Bäume, fielen den Flammen bereits zum Opfer. Rund um die Uhr versuchen die Feuerwehrleute vor Ort, die Brände einzudämmen. Dabei müssen sie, wie auch die Förster, oft unter Katjuscha-Beschuß arbeiten.
Als am 12. Juli der Angriff der Hisbollah-Milizen auf Israel begann, hielt der Nationalfonds in Jerusalem gerade seine Weltkonferenz ab. Die versammelten Vorstandsvertreter aus verschiedenen Ländern beschlossen spontan, Kinder aus dem Norden Israels sowie aus Sderot und Umgebung in die eigenen Sommercamps in die KKL-JNF-Wälder einzuladen. »Jedes, wirklich jedes Kind soll friedliche Sommerferien verleben können«, sagt Tzachi Ganor von KKL-Deutschland. Damit werde nicht nur den Kindern geholfen. »Den Eltern«, sagt er, »wird damit auch eine Zeit mit weniger Sorgen geschenkt.«
Mit der bloßen Unterbringung an sicheren Orten endet die Arbeit jedoch nicht. Das umfangreiche Ferienprogramm, zu dem neben Baden, Lagerfeuerabenden und Spielen auch Ausflüge in die Höhle Av Shalom oder zum Beth-Govrin-Park gehören, soll die Kinder vom Erlebten ablenken und ihnen helfen, die Angst zu vergessen.
Es sind aber nicht nur die Kinder, die dringend betreut werden müssen. »Wir wissen doch, wie unter den Anspannungen von verbalen, geschweige denn physischen Bedrohungen Menschen reagieren, deren seelisches Empfinden vom Schicksal in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt ist«, sagt Peter Fischer, Vorsitzender von Amcha Deutschland. Oft alleinstehend, krank und einsam brauchen sie in dieser Situation ganz besonders Menschen, die ihnen zuhören, damit sie das Erlebte besser verarbeiten können. Die meisten der älteren oder hochbetagten Menschen wollen ihre Wohnungen trotz der ständigen Angriffe nicht verlassen, andererseits haben viele Schwierigkeiten, sich allein zu versorgen. Mitarbeiter der Amcha-Zweigstelle Haifa, die für die aus Sicherheitsgründen geschlossene Niederlassung in Kiriat Motzkin den Norden Israels mitbetreuen, bringen ihnen dann zum Beispiel Lebensmittelpakete und dringend benötigte Medikamente – während die Hotline weiterlaufen muß.
Diese zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Man warte nicht, bis die Klienten von selber anrufen, erklärt Fischer, »sondern man erkundigt sich von selbst regelmäßig danach, wie es ihnen geht. Denn nicht jeder sucht von selber Hilfe. Wenn sich alte Menschen qualvollen Erinnerungen nicht entziehen können, verfallen sie oft in Schweigen.« Jeder soll daher mindestens einmal zu Hause besucht werden, damit das Fachpersonal sich vor Ort davon überzeugen kann, daß entweder wirklich alles in Ordnung ist oder eben praktische Hilfe gegeben werden kann.
»Die Telefone und Handys sind völlig überlastet«, schilderte Nathan Kellermann von Amcha Israel vor einigen Tagen die aktuelle Situation. Das Kommunikationssystem müsse dringend überholt und ausgebaut werden. »Diese Rettungsleine darf unter keinen Umständen gekappt werden«, betont Kellermann in seinem Appell.
Hilfe brauchen auch diejenigen, die eigentlich vorrangig damit beschäftigt sein sollten, sich in ihrer neuen Heimat Israel einzugewöhnen und die Ministerpräsident Ehud Olmert jüngst als »die grundlegende Waffe, die wir haben«, bezeichnet hat. Zeev Bielski, der Vorsitzende der Jewish Agency, nennt sie die »jüdische Antwort auf die Hisbollah und die Hamas«. Für die Neueinwanderer sei die derzeitige Situation doppelt schwierig, erklärt Nathan Gelbart, Vorsitzender von Keren Hayesod Deutschland. »Sie müssen nicht nur den Zivilisationswechsel verarbeiten, sondern auch mit den Raketeneinschlägen fertig werden. Das Cana’an Eingliederungszentrum in Safed, wo 3.000 Immigranten aus Äthiopien leben, ist bereits von einer Katjuscha getroffen worden. Entsprechend benötigten sie besonders viel Unterstützung, die Sicherheitsmaßnahmen und Verhaltenregeln müssen ihnen erklärt werden, beim Umzug ins sichere Landesinnere wird logistische Hilfe benötigt. Von Keren Hayesod (KH) wurden darüber hinaus für Kinder aus Nordisrael Not-Sommercamps eingerichtet. Wie alle anderen handelte auch diese Hilfsorganisation schnell.
»Natürlich hat die Intensität der Angriffe durch die Hisbollah zunächst überrascht, aber man hat ja sehr bald die Richtung gesehen, die die Geschehnisse nehmen würden. Der Raketenbeschuß nahm zu, und es war schnell klar, daß etwas getan werden mußte«, sagt Nathan Gelbart. In Zusammenarbeit mit den Jugendämtern vor Ort stellten die Mitarbeiter von KH fest, welche Kinder Hilfe benötigten. Nun sollen sie in sicherer Umgebung das Erlebte so schnell wie möglich vergessen.
Daß es dazu auch Kleinigkeiten sind, die das alltägliche Leben mit der Bedrohung erleichtern, weiß man bei Keren Hayesod ganz genau: So rüstete man gerade 500 Schutzräume mit Klimaanlagen und Notbeleuchtungen aus. Außerdem wurden Fernsehgeräte und Kabelanschlüsse installiert, damit die Schutzsuchenden jederzeit die aktuellen Entwicklungen verfolgen können.
Ein Punkt ist Nathan Gelbart darüber hinaus noch sehr wichtig »weil er hierzulande in der Berichterstattung kaum vorkommt: Es handelt sich bei dem, was im Moment geschieht, um einen Angriff auf Israel, von dem alle Israelis betroffen sind, egal, ob Juden, Moslems oder Christen, die Raketen der Hisbollah machen da keinen Unterschied.« Allen Hilfsorganisationen sei daher eines gemein: »Unsere Angebote richten sich daher an alle Israelis, die Hilfe brauchen. Und entsprechend werden sie nach ihren religiösen, ethischen und sprachlichen Bedürfnissen betreut.«