von David J.
und Rachel Silverman
Ein Völkermord hat das jüdische Volk beinahe vernichtet. Im Kampf gegen menschliche Grausamkeit in einem anderen Völkermord steht es nun an vorderster Front. Die fortdauernden Greueltaten in Sudan, denen bisher schätzungsweise 300.000 schwarze Muslime zum Opfer fielen und die Millionen weitere ihrer Heimat beraubten, schreckten eine Gemeinschaft auf, die die Lehren der Verfolgung nur allzu gut kennt.
»Wir wissen, was es bedeutet, zum Opfer von Leuten zu werden, die ein anderes Volk von der Erde tilgen möchten«, sagt Rabbiner Robert Levine, Präsident des Vertretergremiums der New Yorker Rabbiner vor etwa 150 Kollegen bei einer Demonstration in New York City, die im März stattfand. »Es ist erst zwei Generationen her, als wir um uns sahen und uns fragten, wo alle geblieben waren.«
Rabbiner Rick Jacobs, Vertreter der Central Conference of American Rabbis, griff das Thema auf. »Die angeblich sicheren Häfen für Darfur-Flüchtlinge sehen aus wie das Warschauer Ghetto«, sagt Jacobs. »Wenn die Geschichte ein Indiz dafür ist, dann haben die afrikanischen Mörder nichts zu fürchten.« Doch wie die ver- gangenen Monaten gezeigt haben, will zumindest die jüdische Gemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Der Ruf, endlich zu handeln, wird immer lauter. Er sorgt dafür, daß jüdische Gruppen sich verstärkt engagieren und andere Bürger mobilisieren.
Ein großer Teil der Bemühungen konzentriert sich in der Save Darfur Coalition, einem vom United States Holocaust Memorial Museum und dem American Jewish World Service (AJWS) initiierten Zusammenschluß von 150 religiös orientierten Interessengruppen und Hilfsorganisationen. Der AJWS und das Jewish Council for Public Affairs (Jüdischer Rat für Öffentlichkeitsarbeit, JCPA) und der Jewish Community Relations Councils ( Gemeindegre- mien für Außenbeziehungen) sind für die Koordination der jüdische Reaktionen auf die Darfur-Krise verantwortlich. Sie koordinieren jüdische Initiativen in der »Eine-Million-Stimmen-für-Darfur«-Kampagne. Es geht darum, genau diese Zahl Postkarten (handgeschriebene oder am Computer verfaßte) an US-Präsident George W. Bush zu schicken. So soll er aufgefordert werden, sich für einen verstärkten multinationalen Einsatz zum Schutz der Einwohner von Darfür einzusetzen. Die Briefe wurden am 30. April dem Weißen Haus übergeben.
Beoobachter haben festgestellt, daß die Reaktion der jüdischen Gemeinschaft bei anderen religiösen Gemeinden keine Entsprechung findet. Bruce Chilton, Priester der anglikanischen Kirche und Direktor der Institute of Advanced Theology am Bard College, räumte ein, daß Darfur in vielen Kirchen nicht ganz oben auf der Tagesordnung steht. »Ich glaube, die Fähigkeit zum Mitgefühl ist noch immer vorhanden«, sagt er, doch die meisten Christen wohl glaubten, das Darfur-Problem sei einzig und allein militärisch zu lösen.
Der Weg zu einem jüdischen Engagement ist auch nicht ohne Stolpersteine. »Politisch ist es eine echte Herausforderung, anderswo Ressourcen abzuziehen, ohne daß sich die Amerikaner deutlich für ein Engagement aussprechen, das die Sicherheit und den Schutz von Menschen garantiert, die kulturell und geographisch so weit entfernt sind«, sagt David Rubenstein, Save-Darfur-Koordinator.
Langsam, beginnt das jüdische Lobbying Erfolge zu zeitigen. Das Weiße Haus bezeichnete die Morde als Genozid, und Präsident Bush konnte bei jüdischen Aktivisten punkten, als er im Februar zusätzliche 514 Millionen Dollar als Teil eines dringend erforderlichen Finanzierungspakets forderte. Ebenso drang er auf eine erhebliche Aufstockung der internationalen Truppen und eine Ausdehnung der Nato-Präsenz in der Region. Rabbiner Steve Gutow, verantwortlicher Direktor des JCPA, lobte die Regierung, die in der Darfur-Frage vor allen anderen Ländern die Führung übernommen habe, obwohl die USA mit dem Irak und dem Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina alle Hände voll zu hätten. Andere, etwa AWJS-Präsidentin Ruth Mesinger, hielten sich mit Lob für den Präsidenten eher zurück. Obgleich sie die Bemühungen als einen »ersten Schritt« begrüßt, mahnt sie zur Vorsicht. Man müsse abwarten, ob hinter diesem Vorstoß mehr stecke als nur Worte, denen keine Taten folgen. »An unserem entschiedenen Handeln werden wir in der Zukunft gemessen, und es wird das moralische Erbe bilden, das wir unseren Kindern hinterlassen«, sagt Messinger. »Der Zeitpunkt wird kommen, an dem diese Kinder oder deren Kinder fragen, was wir getan haben, um den ersten Völkermord des 21. Jahrhunderts zu beenden.«