von Alina Gromova
Eine Idee verbreitet sich sehr langsam. Vor einem guten Monat erwähnte Josef Schuster vom Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland die Möglichkeit, im Land Brandenburg die erste Jüdische Akademie Deutschlands zu eröffnen. Als möglichen Standort hatte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, das ehemalige Kinderheim in Lehnitz bei Oranienburg ins Spiel gebracht. Seitdem bahnt sich dieser Gedanke zögerlich seinen Weg durch die jüdischen Gemeinden in der Mark. In den meisten Fällen trifft er allerdings auf Zustimmung.
Der Großteil der Vertreter der Brandenburger Gemeinden ist optimistisch. »Die Idee, eine Jüdische Akademie in Brandenburg einzurichten, klingt zunächst interessant«, deutet der Potsdamer Gemeindevorsitzende, Vladimir Genkin, etwas skep- tisch an. Auch wenn er bislang nur ein paar Sätze »von den Tribünen« gehört habe. Gespannt sei er auf die Inhalte, die eine solche Jüdische Akademie vermitteln soll. Davon sei bislang bei den Gemeinden noch kaum etwas angekommen.
Der Bedarf einer Lehr- und Lerneinrichtung, die jüdisches Wissen verbreiten wolle, ist in Deutschland und vor allem in Brandenburg zweifellos sehr groß. Denn bislang sind die dortigen Gemeinden dabei ausschließlich auf Bücher angewiesen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Königs Wusterhausen, Leonid Gajdichowytsch vermisst vor allem jüdisches rituelles Wissen. Seit Jahren fehle im Land Brandenburg ein Rabbiner. Das lässt nicht nur Gajdichowitsch vor allem an die religiöse Orientierung einer solchen Institution denken. Auch Elena Miropolskaja, die Vorsitzende der Oranienburger Gemeinde betont, dass rituelle Fragen nicht allein durch die Gebets- und Lehrbücher beantwortet werden können. Der Zentralrat habe den Gemeinden zwar genügend Bücher zur Verfügung gestellt. Die »lebendigen Träger« der jüdischen Tradition ließen jedoch immer noch auf sich warten, konstatiert Gajdichowytsch.
Eine der Aufgaben einer Jüdischen Akademie in Deutschland müsse es sein, dass zu jenen »lebendigen Trägern« neben Rabbinern auch die Vertreter der Gemeindeleitung selbst werden sollten. Das ist die ausdrückliche Meinung des Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Brandenburg, Feliks Byelyenkow, eines leidenschaftlichen Befürworters des geplanten Projekts. »Eine solche Institution als Bildungs- und Gesellschaftseinrichtung macht auf jeden Fall Sinn«, stellt Byelyenkow überzeugt fest. In den Brandenburger Gemeinden sei die Organisation von Aktivitäten mangelhaft, da es an Personen fehle, die als Wissensvermittler fungieren könnten. Eine solche Akademie, so Byelyenkow, würde eine »funktionierende Initiativgruppe« schaffen können – Menschen, die Kenntnisse nicht nur in jüdischer Geschichte und Kultur, sondern auch in Psychologie haben. Experten, die wissen, wie man die Inhalte an die Gemeindemitglieder effektiv heranträgt.
Gleichzeitig soll nach Meinung der Gemeindevertreter das Programm einer Jüdischen Akademie breit gefächert sein. Wichtig sind ihnen auch der Kontakt mit Nichtjuden sowie Bildungseinheiten für diese über die jüdische Kultur. Auch Fragen zur Israelpolitik sollen aus jüdischer Sicht diskutiert werden. Aber nicht nur das Politische sei an Israel interessant, sondern auch das Grundsätzliche: Wie korrespondiert das jüdische Leben in Deutschland mit Israel? Wie sieht sich ein in Deutschland lebender Jude in Beziehung zu Israel? Welche Bedeutung hat Israel für ihn?
Im Zentrum eines solchen facettenreichen Programms kann, laut Byelyenkow, nur etwas Grundsätzliches stehen: »Wir müssen uns darin einig sein, dass wir jüdisches Leben in allen seinen Facetten brauchen, nicht nur die rituelle Praxis.« Die Jüdische Akademie solle »eine Organisation mit einem breiten Profil« sein, »ein Haus, in das alle eintreten können, um gemeinsam Wissen zusammenzutragen, zu begreifen und zu verinnerlichen.«
Die Akademie solle auf keinen Fall als Konkurrenz zu anderen existierenden jüdischen Bildungseinrichtungen verstanden werden, betont er. Im Gegenteil. Mit der ersten Jüdischen Akademie könnte ein Beitrag zum intellektuellen Pluralismus des jüdischen Denkens in Deutschland geleistet werden. Und nur eine solche Vielfalt könne das Überleben der jüdischen Kultur in Deutschland sichern.