»Religion kann schützen«
Herr Bschor, nach dem Selbstmord von Nationaltorhüter Robert Enke wird viel über das Thema Depression gesprochen (vgl. S. 11 und 21). Wie beurteilen Sie die Debatte?
Es ist einerseits gut, wenn offen über das Problem psychischer Erkrankungen diskutiert wird. Zu viele Menschen haben immer noch Hemmungen, Hilfe zu suchen. Und es kann wirklich jeden treffen, eben auch Erfolgssportler, die über ein positives Image verfügen. Andererseits wissen wir nur allzu gut, dass es Nachahmertaten gibt, wenn ausführlich über einen Suizid berichtet wird.
In den USA gibt es Statistiken, nach denen Depressionen bei Juden auffallend häufig vorkommen. Haben wir Erkenntnisse über die Situation in Deutschland?
Nein. Bei Krankheitsstatistiken wird die Religion in der Regel nicht erfasst. Dennoch ist bekannt, dass Minderheiten ein höheres Risiko tragen. Je stärker sie sich als Minderheit wahrnehmen und von außen auch so behandelt werden, umso eher kann dieses Phänomen auftreten.
Welche Rolle spielt dabei die Erfahrung der Migration?
Sie bringt ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko mit sich. Vor allem der soziale Abstieg ist dabei zu nennen, weil er den Selbstwert der Zuwanderer im Kern betrifft. Und das ist ja eine zentrale Symptomatik der Depression.
Wann wird Traurigkeit zur Depression?
Es gibt drei Aspekte. Der eine ist die Dauer: Wenn die Traurigkeit länger als zwei Wochen anhält, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass der Zustand eventuell behandlungsbedürftig ist. Der andere ist die Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens. Wenn jemand nicht mehr zur Arbeit gehen oder sich nicht mehr um die Familie kümmern kann, dann ist das ein Alarmzeichen. Hinzu kommt als dritter Aspekt, dass es Selbstmordgedanken gibt.
Neigen religiöse Menschen weniger zu De-
pressionen?
Zu dieser Frage liegen einschlägige Studien vor: Menschen mit einer engen religiösen Bindung haben einen gewissen Schutz vor Depressionen, noch stärker aber vor Suiziden.
Was halten Sie von rabbinischen Aussagen, dass die Depression entsteht, wenn man zu viel über sich selbst nachdenkt. Das richtige Rezept seien Mizwot, gute Taten für andere.
Das kann ich nachvollziehen, nur muss man aufpassen, dass man die Symptomatik nicht mit der Ursache verwechselt. Die Depression führt krankheitsbedingt dazu, dass man auf sich selbst zurückgeworfen wird. Typische Symptome sind der Verlust des Interesses an anderen Menschen. Die Fähigkeit zur Empathie geht verloren, die Gedanken kreisen grübelnd und negativ nur noch um die eigenen Sorgen. Allerdings würde ein Depressiver überfordert, wenn man ihn dazu ermunterte, an andere Menschen zu denken. Insofern bin ich da aus medizinischer Sicht vorsichtig.