Frau Groß hat sich ein Kleid ge-
kauft. Sie zeigt es ihrem Mann, weil sie wissen möchte, wie es ihm gefällt. Damit bringt sie Herrn Groß in eine Zwickmühle. Denn ihr neues Bekleidungsstück gefällt ihm nicht. Soll Herr Groß seiner Frau sagen, dass das Kleid nicht schön ist oder etwa lügen, um sie nicht zu verletzen? »Über diese Frage lässt sich lange diskutieren«, sagt Iris Elkabets-Rosen von der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWSt). Genau das bezwecke denn auch die Geschichte von Herrn und Frau Groß, die in einem der November-Hefte von Mibereshit-Junior erzählt wird. Die Antwort ist nicht einfach, denn nach der jüdischen Religion ist Lügen nicht nur ausdrücklich verboten, »sondern gilt als die einzige Sünde, vor der man sich ganz besonders fernhalten soll«, wie es in der Rubrik »Du bist der Richter« nachzulesen ist.
Die Mibereshit-Hefte sind Bestandteil eines Projekts, das der israelische Rabbiner Mordechai Elon vor fünf Jahren ins Leben gerufen hat. Mit Hilfe der Wissensvermittlung über die jüdische Religion, Kultur und Tradition soll sich – so die Idee, die dem Projekt zugrunde liegt – das jüdische Volk auf die Gemeinsamkeiten zurückbesinnen. Verfasst werden die Texte, die den jeweiligen Wochenabschnitt aus der Tora kindgerecht wiedergeben, von Autoren in Israel, die Texte werden dann übersetzt; denn inzwischen erscheinen die Hefte in sieben Sprachen (Hebräisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Türkisch und Deutsch) in 27 Ländern.
Feste Abnehmer Vor drei Jahren führte die ZWSt das Lernprogramm in Deutschland ein. Elkabets-Rosen ist verantwortlich für die deutschsprachigen Ausgaben. Die 49-jährige Frankfurterin kümmert sich nicht nur um die Schlussredaktion, sondern betreut auch die Abonnenten. Denn die Mibereshit-Hefte werden nur übers Abonnement vertrieben.
Entwickelt wurde das Lernprogramm für den Einsatz in Kindergarten, Schule und auch zu Hause. Die Hefte sollen vor allem auch dazu beitragen, dass Väter und Mütter mit ihren Kindern über einzelne Themen ins Gespräch kommen. »Die religiösen Inhalte sind so erklärt, dass sich El-
tern nicht blamieren können, wenn sie selbst nicht viel über das Judentum wissen«, versichert Elkabets-Rosen. Voller Be-
geisterung spricht sie über dieses Lernprogramm und beschreibt das Konzept so: »In den Mibereshit-Heften werden Fragen ge-
stellt und bewusst keine einschlägigen Antworten gegeben. Die Kinder sollen lernen, sich anhand der Inhalte aus der Tora mit Dilemmata aus ihrem eigenen Alltag auseinanderzusetzen.«
Die Hefte gibt es in zwei Versionen: Mibereshit Kids für Vier- bis Siebenjährige und Mibereshit Junior für Jungen und Mädchen im Alter von acht bis 13 Jahren. Pro Jahr erscheinen 40 Hefte, das Abo beträgt 19,50 Euro; ein Exemplar kostet rund 50 Cent, »also weit weniger als ein Mickey-Mouse-Heft«, stellt Elkabets-Rosen fest.
Altersgerecht Der Vergleich mit den Walt-Disney-Heften hinkt allerdings. Zwar ist eine farbenfrohe Anmutung auch charakteristisch für die Mibereshit-Hefte, aber sie haben nicht nur einen geringeren Umfang, sondern transportieren auch ernstere Inhalte als die Geschichten aus Entenhausen.
Die sechs beziehungsweise achtseitigen Hefte widmen sich dem jeweiligen Wo-
chenabschnitt der Tora unter anderem mit Comics, Zeittafeln, Kurzgeschichten und Ratespielen. So sind beispielsweise in der Rubrik »Teste deinen jüdischen IQ« mehrere Aussagen zum jeweiligen Wochenabschnitt aufgelistet. Der Clou: Darunter ist eine falsche Aussage, die die Kinder erkennen sollen.
Elkabets-Rosen ist sich sicher, dass die bunten Hefte mit all den alltagsnahen Geschichten den Kindern einen leichten Zugang zur jüdischen Religion verschaffen. Diese Einschätzung nährt sich aus den Rückmeldungen, die sie regelmäßig von Abonnenten bekommt. »Kompliment für Ihre Hefte. Sie sind sehr gut und eine tolle Unterstützung beim gemeinsamen Lernen. Ein kleiner Schiur an jedem Schabbat ist schon gute Gewohnheit geworden«, schrieb ihr unlängst ein Vater.
entwicklung Anhand der Adressen hat Elkabets-Rosen ermittelt, dass rund 60 jüdische Institutionen (Gemeinden, Kindergärten, Schulen), Jugendzentren) die Hefte beziehen. Seit der Einführung des Projekts im Oktober 2006 ist die Zahl der ständigen Abnehmer auf rund 2.000 gestiegen. Das ist eine gute Entwicklung, meint Elkabets-Rosen; etliche der mehr als 80 Jüdischen Gemeinden arbeiteten mit diesem Lernprogramm.
In ihrer Kindheit habe es solchen Lesestoff nicht gegeben, und als sie ihre Tochter großzog, die inzwischen 20 Jahre alt ist, hätte sie gerne auf eine solche kindgerechte Aufarbeitung des Judentums zurückgegriffen. Nun, die Zeit kann man nicht zurückdrehen, aber einen Ausblick geben. Und den formuliert Projektleiterin Elka-
bets-Rosen so: »Ich wünsche mir, dass alle jüdischen Kinder die Hefte in den Händen halten.«