Sieben große Koffer stehen am Donnerstagmorgen fertig gepackt im Gemeinschaftsraum. Obenauf ein Blockbuster und ein paar Geschenke. Am Montag erst soll es losgehen, doch die zwei Frauen und zehn Männer der Stephanus-Stiftung in Rüdersdorf können die große Reise kaum erwarten. Am Jom Kippur fliegen sie nach Israel. Begleitet werden sie von drei Betreuern, unter ihnen Heimleiter Mario Kießling, der im Vorbereitungsstress den Überblick behalten muss. »Für die meisten ist es die erste große Reise«, erzählt Kießling.
Die Bewohner der Stephanus-Stifung sind geistig behindert, leben und arbeiten in der ruhigen Atmosphäre des Rüdersdorfer Marienhauses. In Treibhäusern und Außenanlagen bauen sie für den Verkauf und für den Eigenbedarf Gemüse an. Stolz führt Heiko Hessel über die Anlage, zeigt die große Kompostanlage, die gerade ge-
wendet wird.
Hessel hat seinen Koffer noch nicht ge-
packt und ist deshalb etwas aufgeregt. Hessel, ein kleiner etwas fülliger Mann mit Brille, wohnt nicht mehr auf dem Gelände. Seit Januar teilt er sich mit einem Arbeitskollegen eine Dreizimmerwohnung in Rü-
dersdorf. Der Endvierziger hat sich für seine Freunde in Israel ein besonderes Ge-
schenk ausgedacht. Er hat Pralinen be-
sorgt, und hofft, dass sie auch gut ankommen in Kyriat Tivon bei Haifa. Dort leben die Freunde, die vor zwei Jahren auf Vermittlung einer Sozialarbeiterin, die in Israel volontierte, in Rüdersdorf waren. Seitdem gibt es einen engen Briefkontakt zwischen Rüdersdorf und »Kfar Tikva«, dem israelischen Pendant zum Marienhaus. Auf Anhieb habe man sich verstanden, auch ohne Sprache. Außerdem gebe es Dolmetscher, meint Hessel.
Die Reise des diakonischen Werks der evangelischen Kirche ist jetzt der Gegenbesuch. Doch was auf sie zukommen wird, wissen Heiko Hessel, Werner Honig, Norbert Belk und Frank Malecki, die an diesem Morgen in der Gärtnerei oder im Montageraum an der Verpackung von Dichtungsringen für den Automobilmarkt arbeiten, nicht so recht. »Das Tagesprogramm stellen die Kollegen von Kfar Tikva zusammen«, erklärt Kießling. »Fest steht, dass wir Yad Vashem besuchen und dort Blumen niederlegen werden.«
Norbert Belk rückt sich seine Basecap schon mal zurecht, die wird er auch in der Holocaust-Gedenkstätte tragen. Die Gruppe hat sich auf ihre Reise gut vorbereitet. Dem Pfarrer zugehört, der aus Israel »viele Dinge zum Anfassen« mitgebracht hat, unter anderem eine Menora, einen Schabbatleuchter und eine Torarolle. Im jüdischen Museum Berlin haben sie sich die Ausstellung über jüdisches Alltagsleben angeschaut. Um israelische Essensgewohnheiten kennenzulernen, fuhren die zwölf Israelreisenden nach Mecklenburg und nahmen an einem Kiddusch teil. Dabei lernten sie, dass milchige und fleischige Speisen unterschieden werden. Das Essen könnte zu einem Problem werden, meint Kießling. Daher auch die konkreten Fragen der Reisenden: »Gibt es Nutella und Cola in Israel?«
Finanziell unterstützt wird die Reise von der Aktion Mensch. Auch Verlegerwitwe Friede Springer hat gespendet. Und jeder Einzelne hat etwas für seine Reise nach Israel gespart.
Außer Pralinen, kleinen Armbändern und vielen Dingen, die sie nicht verraten möchten, bringen sie auch musikalische Gastgeschenke mit. Mit Hevenu shalom alechem und Shalom chaverim haben sie zwei hebräische Lieder einstudiert, die sie ihren Gastgebern vortragen möchten.
Doch bis zum Montag ist es noch ein wenig Zeit. Die Angst vor dem Fliegen und ob man seinen Fotoapparat mitnehmen darf, rücken noch durch die Tagesarbeit in den Hintergrund. An diesem Abend wird dann auch Heiko Hessel seinen Koffer pa-
cken. Noch einmal durch seine lupendi-
cken Brillengläser sorgfältig prüfen, ob er auch die Pralinen nicht vergessen hat. Am Montag beginnt dann für die 15 Rüdersdorfer das große Abenteuer: die Reise nach Israel. Heide Sobotka
Rüdersdorf