Nach dem Willen Hitlers sollte es im besetzten Polen keinen geordneten Aufbau der Verwaltung geben. Der »Führer« betrachtete das Generalgouvernement vielmehr als Objekt der Ausbeutung und als Abschiebeterritorium für die Juden, wenngleich viele bereits an Ort und Stelle ermordet wurden. Die besetzten Gebiete waren zugleich das Exerzierfeld einer radi- kalen Germanisierungspolitik, für die entsprechendes Personal benötigt wurde – die Kreishauptleute.
Die Ermordung der Juden war ein offenes Geheimnis im Generalgouvernement, von dem kaum verklausuliert nach Hause berichtet wurde. Die deutschen Beamten waren keine bloßen Beobachter einer von anderen in Gang gesetzten Vernichtungspolitik – sie selbst gestalteten sie von Anfang an in entscheidendem Maße.
Der Handlungsspielraum der Kreishauptleute war groß – sie erkoren sich selbst zu Richtern und rühmten sich, auch die Todesstrafe zu verhängen und mitunter selbst zu vollstrecken. Beim Generalgouverneur Hans Frank rannten sie mit ihren radikalen Initiativen offene Türen ein und wurden von diesem weiter ermuntert. Die Ziele waren von Anfang an vorgegeben, die Methoden wählten die Kreishauptleute selbst.
Frank war ein Mann der unmissverständlichen Worte: »Bei den Juden nicht viel Federlesens. Je mehr sterben, umso besser. Die Juden sollen spüren, dass wir gekommen sind.« Franks vulgär-antisemitische Auslassungen waren berüchtigt und stießen beim Besatzungsapparat auf Zustimmung – und manchmal auch auf Heiterkeit, wenn er auf die Juden mit bösem Sarkasmus zu sprechen kam: »Es soll in dieser Stadt einmal Tausende und Abertausende von diesen Plattfußindianern gegeben haben. Ihr werdet doch am Ende mit denen nicht böse umgegangen sein?«
Die meisten dieser bar jeder menschlichen Regung wütenden »Herrenmenschen« konnten ihre Karriere nach dem Krieg unbehelligt fortsetzen. Roth hat deren Karrierewege auch nach 1945 weiter verfolgt. In seiner quellengesättigten Studie beschreibt er, wie die Kreis- und Stadthauptleute zu radikalen Vollstreckern einer extrem brutalen Herrschaftspraxis wurden. Er erklärt in seiner auf breiter empirischer Basis stehenden Untersuchung mit Hilfe einer Mischung aus einem kollektivbiografischen und einem institutionellen Ansatz, wie sie fast umstandslos in das System der Bundesrepublik eingegliedert wurden. Das vergangenheitspolitische Umfeld und die Bedingungen für eine Reintegration der NS-Eliten vor allem in den 50er-Jahren war günstig, ein Karriereknick war nicht auszumachen. Im Gegenteil. Sie wurden in aller Regel entnazifiziert, konnten in ihre alten Berufe zurückkehren und noch einmal eine ganz neue Karriere starten. Hier finden wir sie – nicht selten mit dem Großen Bundesverdienstorden dekoriert – wieder, etwa als Kreisdirektoren, Präsidenten von Oberverwaltungsgerichten, Leiter von Lastenausgleichsämtern, Oberregierungsräte, Justitiare der evangelischen Kirche, Senatspräsi- denten, als Vorsitzende des Kuratoriums der Rheumaliga, als Stadtverordnetenvorsteher oder Staatssekretäre. Ja, sogar als Minister, wie Hans-Adolf Asbach (1904-1976).
Im Entnazifizierungsverfahren wurde Asbach in die Kategorie V (unbelastet) eingestuft. Er war Mitbegründer des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) einem Koalitionspartner der Regierung Adenauer. Sieben Jahre war Asbach Landesminister für Arbeit, Soziales und Vertriebene in Schleswig-Holstein. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel gegen ihn wurde 1976 eingestellt.
Bis heute ist die Verbrechensbeteiligung der Kreishauptleute weitgehend unbekannt geblieben. Das hat sich mit der vorliegenden Studie geändert. Man legt das Buch mit einer Mischung aus Wut, Verwunderung und Befriedigung aus der Hand und fragt sich, warum mehr als 60 Jahre vergehen mussten, damit dieser Teil deutscher Geschichte so detailliert erforscht wurde. Ludger Heid (Foto: ullstein)
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