von Pierre Heumann
Die Bürger des jüdischen Staates sehen sich als Europäer. Gerne würden sie beim Integrationsprojekt mitmachen. 69 Prozent befürworten den Beitritt ihres Landes zur EU, wenn man einer repräsentativen Umfrage glauben will, die im April im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführt wurde.
Doch Israels Begeisterung für die EU stößt in Brüssel auf wenig Gegenliebe. Die Zeit sei »nicht reif, um über das derzeitige Niveau der Beziehungen hinauszugehen«, schrieb Außenkommissarin Benita Ferrero Waldner Mitte April in der Zeitung Haaretz. Die Beziehungen zu Israel sollen erst ausgebaut werden, wenn sich die Regierung von Benjamin Netanjahu zum Friedensprozess bekennt und eine Zwei-Staaten-Lösung anstrebt. Zum Nulltarif soll Israel nicht vom Binnenmarkt profitieren dürfen. Doch Netanjahu lässt sich nicht drängen. Er lasse sich von der EU keine Politik diktieren, sagt er, sein Land sei ebenso an einem Frieden interessiert wie die EU. Bedingungen seien deshalb weder erwünscht noch nötig.
Während die von der EU begeisterten Israelis auf der Brüsseler Wartebank sitzen bleiben, spielen israelische Diplomaten die Bedeutung der harschen Worte von Ferrero-Waldner herunter. Die Beziehungen zur EU seien nicht gefährdet, heißt es in Jerusalem. Es liege nicht in der Kompetenz der Außenkommissarin, Entscheidungen über eine Veränderung des Verhältnisses zu Drittstaaten zu fällen; dazu sei ausschließlich der Ministerrat mit seinen 27 Mitgliedern befugt. Und dort gäbe es Richtungskämpfe, heißt es im israelischen Außenministerium. Belgien, Irland, Portugal oder Schweden wollten zwar die Beziehungen zu Israel erst vertiefen, wenn der Friedensprozess wieder in Schwung kommt und zu Resultaten führt. Aber Deutschland, Polen oder Tschechien würden keine Bedingungen an eine stärkere Annäherung Israels knüpfen.
Und doch: Es knirscht zwischen Jerusalem und Brüssel. Die EU verliert die Geduld. Denn der israelisch-palästinensische Konflikt ist von Lissabon bis Stockholm auch ein Stück europäische Innenpolitik. Kracht es im Nahen Osten, gehen Palästinafreunde in Europa auf die Straße.
Bis Ende Juni wird die EU zwar noch von Tschechien präsidiert, das nichts von einem Einfrieren der weiteren Annäherung an Israel hält. Ab Juli aber ist Schweden an der Reihe, dessen Regierung für die verstärkte Integration Israels in den Binnenmarkt politische Vorleistungen erwartet: zwei Staaten für zwei Völker. Die EU engagiert sich dafür nicht nur finanziell. Sie bereitet die Grundlagen des künftigen Staates Palästina unter anderem dadurch vor, dass sie die Ausbildung der pa- lästinensischen Polizei vorantreibt.
Noch vor einem Jahr waren die europäischen Perspektiven Israels günstig gewesen. Optimistisch hatten israelische Diplomaten Möglichkeiten der verstärkten Ko- operation mit Brüssel aufgelistet. Der diplomatische Dialog sollte institutionalisiert, die Frequenz der Ministertreffen erhöht, israelische Wissenschaftler vermehrt an Forschungsvorhaben beteiligt werden. Die israelische Wirtschaft und Gesellschaft werde sich europäischen Standards annähern, schwärmte im Juni 2008 gar das israelische Außenministerium. Israels Weg in den EU-Binnenmarkt war Ende 2007 geebnet worden, nachdem die Regierung Olmert auf der Konferenz von Annapolis die Grundzüge der Zwei-Staaten-Lösung bekräftigt hatte. Avigdor Lieberman, der neue Außenminister, fühlt sich aber an die Zusagen seiner Vorgängerin Zipi Livni nicht gebunden. Er will sich von der bisherigen Politik lösen. Das Konzept »Land für Frieden« habe keine Resultate gebracht, begründet er dies.
Damit spielt er den EU-Gegnern einer verstärkten Integration Israels in den Binnenmarkt in die Hände. Sie berufen sich auf den Vertrag, den die EU im vergangenen Jahr mit ihren Mittelmeerpartnern abgeschlossen hat. Der Ausbau der Beziehungen zu Israel, heißt es dort sinngemäß, setze die Berücksichtigung der Menschenrechte voraus. So müsse Israel die Lebensbedingungen der Palästinenser erleichtern. Eine Aufwertung der Beziehungen zur EU ist zudem undenkbar, solange die Palästinenser keinen eigenen Staat haben. Dies ist Teil dessen, was man in der EU als Acquis communautaire ansieht, als gemeinschaftlichen Besitzstand.
Ob die neue Mannschaft in Jerusalem diesem Genüge tut und auf EU-Kurs bleibt, wird sich spätestens Mitte Mai zeigen: Dann will Netanjahu im Weißen Haus in Washington sein Nahost-Konzept vorstellen. Er wird dabei wohl nicht nur sein Verhältnis zu Barack Obama im Auge haben, sondern auch dasjenige zu Europa. Der israelische Premier sieht sein Land nämlich wie die Mehrheit durchaus in der EU. Offen ist bloß, ob er dafür den Preis bezahlen will.