von Rabbiner Berel Wein
In der vergangenen Woche fiel hier in Jerusalem ein später Regen auf unsere geschützten und ungeschützten Köpfe herab. In der Tora heißen solche Regenfälle gegen Ende der Winterzeit Malkosch. Dieser späte Regen gilt als Segen, der die Erde für den bevorstehenden langen, trockenen Sommer stärkt und nährt. In unserem Teil der Welt ist Regen ein begehrtes Gut. Uns Angelsachsen aus den Vereinigten Staaten, wo es durchschnittlich einmal in der Woche regnet, oder aus Großbritannien, wo Regen beinahe ein tägliches Ereignis ist, versetzt die Tatsache, dass es hier von Mai bis Oktober überhaupt nicht regnet, immer wieder in Erstaunen.
Der große Prophet Samuel schärfte dem Volk Israel seine göttliche Botschaft ein, indem er es mitten in der Weizenernte regnen ließ. Die hinter uns liegenden späten Regenfälle dienen also zur Erinnerung daran, was für ein Geschenk der Regen ist und wie abhängig wir ihm sind, um Nahrung zu erlangen und das Leben selbst zu erhalten. Aus der Art und Weise, wie die Tora über Joreh – die ersten Regenfälle des Herbstes – und über Malkosch – den späten Regen – schreibt, scheint es, dass dieser späte Regen als zusätzlicher und besonderer Segen Gottes betrachtet wird, da er sozusagen außerhalb der Saison fällt. Diese späten Regentage gleichen das Defizit einer Winterzeit mit weniger Regen als sonst aus. Sie sind ein Symbol für die Binsenwahrheit, dass es nie zu spät ist, Empfänger von Gottes Wohltaten zu werden.
In der Tora wird dem jüdischen Volk das Land Israel geschildert, bevor es tatsächlich dort einzieht. Dabei gibt sie zu bedenken, dass das Land Israel anders ist als das Land Ägypten, das das Volk vierzig Jahre davor verlassen hat. Ägypten hat den Nil, einen großen Fluss, der die Felder bewässert und die Ernten sichert. Daher ist es für seinen Wohlstand und für sein Überleben nicht unmittelbar von Regen abhängig. Nach primitiver Art beteten die Ägypter den Nil-Gott an, um dem Fluss für die Erhaltung des Lebens zu danken.
Im Gegenteil zu Ägypten, so betont die Tora, besitzt das Land Israel keine großen Flüsse. Der Jordan hält weder der Größe noch der Wassermenge nach den Vergleich mit dem Nil stand. Für den Erhalt ihres Landes würden sich die Juden auf den Regen verlassen müssen. Und sich auf den Regen verlassen heißt sich auf Gott verlassen. Nicht auf den Gott eines bestimmten Flusses, sondern auf den unsichtbaren und unerforschlichen Gott, der das Universum und alles, was in ihm ist, erhält. Wenn die Juden zum Himmel sahen, um nach Regenwolken Ausschau zu halten, blickten sie auf zu ihrem Gott – den Einen, der allein sie und ihr Land erhalten würde.
Die Mischna verdeutlicht diesen Punkt, wenn sie darlegt, wie die Juden über Amalek triumphierten, als Moses seine Hände erhob. Es waren nicht Mose erhobenen Hände, die den Triumph besiegelten. Vielmehr wurde den Juden Gottes Hilfe und letztendlich der Sieg zuteil, weil sie zum Himmel aufsahen, höher als Mose erhobenen Hände. Das gleiche gilt im Hinblick auf den vom Himmel gesandten Regen. Wenn wir zum Schöpfer, der Quelle aller Segnungen, aufblicken und uns vergegenwärtigen, was für ein Segen die Regenfälle sind, sehen wir das, was sonst ein Naturphänomen ist, in der richtigen Perspektive.
In der jüdischen Tradition ist Pessach eine Übergangszeit. Jetzt beten wir nicht länger um Regen, stattdessen um die Wohltat des Morgentaus, der unser Land im Sommer versorgt. Jede Jahreszeit besitzt ihre eigenen Segnungen. Das herrliche Gebet – das Gebet für den Tau – ist integraler Bestandteil der Pessach-Liturgie. Es bekräftigt unser Vertrauens in die Freigiebigkeit Gottes und seine besondere Sorge um das Wohlergehen und den Reichtum des Landes Israel. Es ist die Erneue-
rung unseres Erkenntnis, dass Gott sozusagen unser Nil ist. Während Regen und Tau in vielen Teilen der Welt selbstverständliche Naturphänomene sind, gilt das nicht für das Land Israel. Hier sind Gebete und Glaube unerlässliche Voraussetzung für Ernährung und Wohlstand. Die Natur an sich geizt mit Wohltaten in unserem Land. Segens Gottes ist notwendig, damit wir in den Genuss des Reichtums unseres gesegneten Landes kommen.
An diese Wahrheiten gemahnen uns die hinter uns liegenden späten Regentage. So sollten diese späten Regenfälle als Botschaft verstanden werden, die uns zur rechten Zeit an unsere Pflichten und Aufgaben und an unser Verhältnis mit der Quelle all unserer Segnungen, den Schöpfer selbst, erinnert.