von Deniz Yücel
Donnerstagabend im Berliner Stadtteil Neukölln. Seit zwei Wochen zeigt das Multiplex-Kino Karli in einem Einkaufszentrum den Film Tal der Wölfe. Der große Kinosaal ist voll. Die meisten Besucher sind türkischstämmig. Während auf der Leinwand dazu aufgefordert wird, die Handys auszuschalten, stehen draußen noch zahlreiche Besucher in der Warteschlange, um sich mit Coca-Cola und Popcorn zu versorgen. Man ist hier, um sich zu unterhalten. Daß dieser Film weit mehr Besucher anzieht, als andere türkische Produktionen, die einen deutschen Verleih finden, mag an dem Thema Irak liegen oder auch an der Diskussion, die der Film hierzulande ausgelöst hat. »Ich mag keine Gewaltfilme«, sagt Nilgün. »Ich bin nur hier, weil in den Medien so viel darüber geredet wird.« Doch der Hauptgrund für den Andrang ist simpler: Die meisten kennen den Helden Polat Alemdar und seine Gefährten aus dem türkischen Fernsehen. Tal der Wölfe ist die Kinofassung einer gleichnamigen, erfolgreichen Fernsehserie.
Der Film beginnt mit einer wahren Begebenheit vom Juli 2003, als eine Gruppe verdeckt operierender türkischen Soldaten im kurdischen Nordirak von der US-Armee festgesetzt und mit Säcken über den Köpfen in die Türkei abgeschoben wurde. Was die türkischen Soldaten im Nordirak zu suchen hatten, erfährt man im Film nicht. Stattdessen rückt die Demütigung der Türken in den Mittelpunkt. Die Agenten ziehen los, um sie zu rächen. Aus dem Rachefeldzug wird bald ein Kampf gegen die tyrannischen Machenschaften der Amerikaner, verkörpert durch den miesen CIA-Potentaten und christlichen Fundamentalisten Sam Marshall, seine Bande muskelbepackter Rambotypen sowie seine kurdischen Vasallen.
Im Grunde ist Tal der Wölfe nicht mehr als ein zweitklassiger Actionfilm; Charaktere und Handlung unterscheiden sich kaum von amerikanischen Vorbildern. Der einzige Unterschied: Diesmal sind die Amerikaner die bad guys. Die Guten im Film sind die Türken und die Turkmenen, die von Amerikanern und Kurden drangsaliert werden. Allerdings verdammt der Film nicht alle Kurden, sondern nur ihre Führer. Sogar ein guter Amerikaner ist zu sehen – ein Soldat, der sich über das Niedermetzeln wehrloser Gefangener beschwert und dafür von einem Rambotypen kaltblütig erschossen wird. Die einzige Gruppe, die im Film präsent ist, ohne eine einzige sympathische Figur aufzuweisen, sind die Juden.
Die kommen im Film zweimal vor: In einer absurden Szene in einem Nobelhotel, wo ein orthodoxer Jude den Saal verläßt, weil er ahnt, daß dort gleich eine Bombe explodieren könnte. Offen antisemitisch wirkt diese Szene nicht. Der Regisseur sagt nur eben mal »Jude«, um den Assoziationen eines geneigten Publikums freien Lauf zu lassen. »Vielleicht ist das eine Anspielung auf das Gerücht, daß die Juden von den Anschlägen vom 11. September gewußt haben sollen«, meint Kenan, ein Kneipier aus Kreuzberg. Er selbst glaubt dieses Gerücht übrigens nicht.
Eindeutiger ist die zweite jüdische Figur: Ein Arzt, der im Gefängnis Abu Ghraib Gefangenen Organe entnimmt, um sie nach Tel Aviv, New York und London zu schicken. In einem Dialog gibt er sich als Angehöriger eines Volkes zu erkennen, »das mit Gott gerungen« hat. »Mir ist gar nicht aufgefallen, daß der Arzt ein Jude ist«, sagt Hüseyin. Nermin hat dies zwar bemerkt, aber kann mit dieser Information nichts anfangen. Ein älterer Mann mischt sich ins Gespräch: »Der Regisseur wollte betonen, daß die USA und Israel im Nahen Osten zusammenhalten.« Ein zufälliger Regieeinfall ist der jüdische Arzt dennoch nicht. Dafür bürgt schon der linksnationalistische Journalist Soner Yalçin, der bei dem Film als Berater wirkte und in einem Buch nachzuweisen versucht, daß die Türkei »jüdisch unterwandert« sei.
»Daß sich ausgerechnet die Türken als Beschützer der Kurden aufspielen, ist doch lachhaft«, empört sich Tanil über den türkisch-nationalistischen Blick auf die Ereignisse. Er ist selbst Kurde. Seine Freundin Aylin findet die Darstellung »zu schwarzweiß«. Doch sie sind in der Minderheit. Die meisten Zuschauer halten den Film für realistisch: »Wir kennen die Bilder doch aus den Nachrichten.« - »Das stimmt alles.« - »Etwas übertrieben vielleicht, aber nicht falsch«.
Die meisten Zuschauer empfinden Tal der Wölfe auch als ausgewogen. Das liegt daran, daß sich der Film in der Mitte zwischen amerikanischen Besatzern und islamistischen Selbstmordattentätern positioniert. Der turkmenische Scheich eines Der- wischklosters hält flammende Appelle gegen Selbstmordattentate und reißt einem Dschihadisten, der eine amerikanische Geisel enthaupten will, das Schwert aus der Hand. »Ich finde, daß der Widerstand berechtigt ist, aber mir gefallen diese Methoden auch nicht«, sagt Kadir, der mit seiner Hose in Tarnfarben und seinen halblangen Haaren den Rambotypen des Films ähnelt. Damit dürfte er die beabsich-tigte Botschaft des Films ausgesprochen haben.
Für einen Kampf der (Pop-)Kulturen eignet sich der Film aber kaum. In arabischen Ländern wird man wohl wenig Sympathien für ausgerechnet türkische Superhelden finden. Auch die Absage an den »heiligen Krieg« und das Loblied auf die islamische Mystik dürften bei militanten Islamisten nicht ankommen.