von Ralf Pasch
Nach der überraschenden Entscheidung des Kölner Rabbiners Netanel Teitelbaum, die Stadt am Rhein zu verlassen, muss sich die Synagogen-Gemeinde nach einem Nachfolger umschauen. Immerhin gebe es schon »eine Handvoll Bewerbungen«, sagt Abraham Lehrer vom Gemeindevorstand. Den »richtigen« Rabbiner zu finden, ist nicht nur ein Kölner Problem.
Die dortige Gemeinde startete über Anzeigen in deutschen, österreichischen und Schweizer jüdischen Zeitungen ihre Suche – jedoch »ohne Vorgaben« zu machen. Kriterien für die Auswahl werde eine Findungskomitee erarbeiten. Für Lehrer steht fest, dass die orthodoxe Gemeinde an ihrer Ausrichtung festhält: »Wir bleiben bei unserer Linie!«
Anders als in früheren Jahren müssten sich die jüdischen Gemeinde heute seltener selbst auf die Suche nach einem Rabbiner begeben, so Lehrers Erfahrung. »Das funktioniert inzwischen andersherum«: Organisationen und Institutionen sprechen immer häufiger ihrerseits Gemeinden an, um Rabbiner zu vermitteln.
Um den richtigen Kandidaten auszuwählen, werde die Kölner Gemeinde aussichtsreiche Bewerber einladen, damit sie einen Gottesdienst abhalten und sich den Mitgliedern vorstellen können. Mitunter sei ein zweiter Termin nötig. Nicht immer springt der Funken gleich über. Gut Ding will auch in diesem Fall Weile haben. Und so ist für Lehrer klar, »dass wir nicht schon in den nächsten vier Wochen jemanden finden«. Für Pessach habe man ja in Rabbiner David Bollag, dem Amtsvorgänger von Teitelbaum, kurzfristig einen Ersatzmann gefunden.
In Niedersachen nahmen der Landesverband und die Gemeinden die Geschicke in die eigene Hand. »Wir waren es leid, nur auf Rabbiner aus den USA oder Israel angewiesen zu sein, entweder auf die finanziellen Forderungen einzugehen oder sie abzulehnen«, erzählt der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Michael Fürst. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und weiteren Partnern hat der Landesverband bislang zwei Rabbinern die Ausbildung finanziell ermöglicht.
Auf diese Weise würden, freut sich Fürst, »mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen«: Die Integration in die Gemeinden sei – unter anderem, weil es keine Sprachbarriere gebe – einfacher, und auch die Finanzierung sei leichter als bei einem Import aus dem Ausland. Fürst ist sich sicher, dass es »genügend motivierte Leute in Deutschland« gibt. Nachdem dieses niedersächsische Modell für die jüdischen Gemeinden in Oldenburg und Braunschweig praktiziert wurde, wird gerade zum dritten Mal ein Studium auf ähnliche Weise finanziert, um eine weitere Rabbinerstelle besetzen zu können – wo, wird bewusst offen gelassen. Freilich müssen die Kandidaten außer Motivation auch Genügsamkeit mitbringen, denn sie bekommen lediglich ein Stipendium, das allein nicht zum Leben reicht. Zudem müssen sie sich nach dem Studium für eine Weile fest an eine Gemeinde in Niedersachsen binden.
Der Vertrag von Rabbiner Daniel Alter in Oldenburg läuft im August aus. Alter ist der Nachfolger von Rabbiner Bea Wyler, die im Jahre 2004 die Oldenburger Gemeinde nach neun Jahren verließ. Alter hatte am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam studiert und war 2006 nach Oldenburg gekommen. »Wir wollten nicht die Gemeinde verändern«, erklärt die Gemeindevorsitzende Sara-Ruth Schumann. Dass etwa Frauen Vorbeterinnen sein dürfen, sollte nicht zur Diskussion gestellt werden. Die ersten Gespräche mit Alter hätten »genügend Schnittmengen« ergeben, den gewohnten liberalen Ritus weiterführen zu können. Der Rabbiner verpflichtete sich, zweieinhalb Jahre zu bleiben. Wie es ab August, wenn sein Vertrag ausläuft, weitergeht, muss noch geklärt werden.
Bei Jonah Sievers in Braunschweig, der 2002 sein Amt offiziell antrat, lief es ähnlich, auch sein Studium wurde vom Landesverband finanziert, er sagte zu, fünf Jahre zu bleiben. Die Braunschweiger Vorsitzende Renate Wagner-Redding ist froh, dass Sievers nach den vereinbarten fünf Jahren noch nicht geht, denn auch sie weiß, dass »an Rabbiner schwer heranzu- kommen« ist. Nicht jede Gemeinde hat das Glück wie Osnabrück und kann die Stelle aus den eigenen Reihen besetzen. In Sachsen teilen sich die drei Gemeinden in Dresden, Leipzig und Chemnitz seit zehn Jahren Salomon Almekias-Siegl.
Doch so schwer wie vielleicht noch vor zehn Jahren ist heute die Suche nach einem Rabbiner allerdings nicht mehr. Die Vorbehalte ausländischer Rabbiner gegenüber Deutschland nehmen offenbar ab, meint der niedersächsische Landesvorsitzende Fürst: »Das hat sich normalisiert.« So sieht es auch der orthodoxe Kasseler Rabbiner Shlomo Freyshist, seit 2004 im Amt. Er hatte in Moskau und Jerusalem studiert, bevor er 1996 nach Deutschland kam. Bedenken dagegen hatte er nicht. Er arbeitete in Frankfurt, Karlsruhe, München und zuletzt in Bad Nauheim.
»Als mein Vertrag dort auslief, hörte ich von einem Bekannten, dass in Kassel jemand gesucht wird.« Bei einem Gottesdienst präsentierte er sich Vorstand und Gemeinde. »Nach dem ersten Treffen war klar, dass wir zusammenarbeiten wollen«, erinnert sich Freyshist.
Das größte Problem für kleine und mittlere Gemeinden sei vor allem die Finanzierung einer Rabbinerstelle. Der Kasseler gelang es, öffentliche und private Finanziers ins Boot zu holen, um Freyshists Stelle zu bezahlen. Er ist außer für die Kasseler Gemeinde auch noch für die in Fulda zuständig, wohin er einmal im Monat zum Schabbatgottesdienst fährt. Zwei Jahre läuft sein Vertrag noch. Der Vater von zwei Mädchen würde mit seiner Familie jedoch gern länger in Hessen bleiben.
Bis zu Freyshits Amtsantritt musste sich Kassel mit einem »Wanderrabbiner« begnügen, wie ihn Mainz heute hat: Seit etwas mehr als einem Jahr pendelt Zeev Rubins zwischen mehreren Städten. Er wurde von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland entsandt. »Wir sind seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Rabbiner, doch bisher waren die Honorarforderungen der Bewerber zu hoch«, klagt Geschäftsführer Janusz Kuroszczyk. Da Mainz als vergleichsweise »reiche« Gemeinde keinen Zuschuss vom Landesverband Rheinland-Pfalz bekomme, müsse sie ihre Rabbinerstelle aus eigener Kraft finanzieren. Nach Pessach wolle man noch intensiver nach einem festen« Rabbiner suchen. Der Geschäftsführer wünscht sich, dass im November, wenn das neue Gemeindezentrum erröffnet werden soll, auch die vakante Rabbinerstelle besetzt ist.