biblische Geschichten

Purim-TV

von Fabian Wallmeier

Theateratmosphäre hängt in der Luft: Ein kostümierter junger Mann mit einem Textheft in der Hand schreitet langsam in einem Bogen den Raum ab und bewegt lautlos die Lippen. Der Regieassistent disku- tiert mit einem Schauspieler. Ein russisch-deutsches Sprachgemisch durchdringt den Raum. Der Regisseur Isaak Polovitskiy legt sein Jackett ab, vorsichtig seine Krawatte darüber, krempelt die Hemdsärmel hoch und schreitet zur Tat. Es ist Montagabend im Untergeschoss der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden und der Gruppe bleiben noch sechs Tage: Am Sonntag geht hier die Premiere eines Theaterprojekts zum jüdischen Feiertag Purim über die Bühne.
Das Stück erzählt die persische Geschichte der Juden aus dem Buch Esther, die dem Purim-Fest zugrunde liegt. Die Jüdin Esther heiratet den persischen König Ahasveros und bringt ihn dazu, die von seinem Minister Haman geplante Ermordung aller Juden im Land abzuwenden. Die Darsteller sind allesamt Migranten und stammen wie der Regisseur größtenteils aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion – die Regieanweisungen und die Gespräche zwischen den Szenen laufen daher fast ausschließlich auf Russisch. Auf der Bühne hingegen stehen Deutsch und Russisch gleichberechtigt nebeneinander.
Insgesamt 26 Menschen wirken als Darsteller und Tänzerinnen mit. Regisseur Polovitskiy verknüpft die Szenen miteinander, indem er Musik und Videos einsetzt. Nachrichtensprecherinnen kommentieren von der Leinwand aus zweisprachig das Geschehen mit der Sensationslüsternheit moderner Boulevardmedien und schalten dann zu ihren Reportern vor Ort, die auf der Bühne die handelnden Personen zum Geschehen am Hof des Königs befragen. »Wir haben die Megillat Esther ins moderne Medienzeitalter versetzt«, erklärt Polovitskiy. Die Darsteller, fast ausschließlich Gemeindemitglieder, sind zwischen zwölf und 68 Jahre alt. Zbayko Volodymyr ist einer von sieben Teilnehmern, die schon bei Polovitskiys erstem Wiesbadener Theaterprojekt im vergangenen Jahr mitgespielt haben. Damals drehte sich alles ums jüdische Neujahrsfest. Volodymyr ist mit 68 Jahren damals wie heute der Älteste. Er spielt den antisemitischen Minister Haman. »Es ist nicht einfach, das zu zeigen«, sagt er mit leicht kratziger Stimme. »Ich versuche, meine Figur mit satirischen Mitteln als negativen Charakter zu verkörpern«, erläutert er. Pavel Kuzmin ist mit 13 Jahren einer der Jüngsten in der Gruppe. Er tritt gleich zu Beginn des Stücks auf – als Clown, der die Vorgeschichte erzählt. Er hat beim Theaterspielen Blut geleckt. Für ihn steht fest: »Ich will Schauspieler werden.« Der einzige Teilnehmer, der kein Russisch spricht, ist Martin Pam. Der aus den USA stammenden Hochschullehrer lebt seit 35 Jahren in Deutschland und seit anderthalb Jahren als Pensionär in Wiesbaden. »Hier läuft alles auf Russisch. Nur wenn etwas wirklich wichtig ist für mich, wird es übersetzt«, berichtet er über die Probenarbeit. »Leider verpasse ich so die ganzen Witze«, sagt er und kichert.
Die Theatergruppe arbeitet ehrenamtlich und wird vom Gemeindevorstand unterstützt. Die Gemeinde stellt den Darstellern nicht nur ihre Räume zur Verfügung, sondern kommt auch für die Kosten auf, die durch das benötigte Equipment entstehen. Jacob Gutmark, im Vorstand unter anderem zuständig für Kultur, sieht das Projekt auch als »Integrationsprojekt nach innen«. In Deutschland, sagt Gutmark, könnten die osteuropäischen Juden nämlich ihre Religion wieder ausleben – allerdings sei vielen die jüdische Geschichte wegen der jahrelangen Unterdrückung ihrer Religion nicht genau bekannt. Insofern sei das Theaterprojekt »eine edukative Sache«, indem es die osteuropäischen Gemeindemitglieder »in spielerischer Form« mit den jüdischen Feiertagen vertraut mache.
Regisseur Polovitskiy war schon in seiner russischen Heimat am Theater aktiv. In seiner Geburtsstadt Swerdlowsk, heute Jekaterinburg, im Uralgebirge hat er bereits früh in verschiedenen Gruppen gespielt und sich zum Schauspieler ausbilden lassen. An der renommierten Schtschukin-Hochschule für Theater am Moskauer Wachtangow-Theater hat der heute 64-Jährige schließlich das Handwerk des Regisseurs gelernt. Parallel zu seiner Arbeit am Theater hat er an der Technischen Hochschule studiert und danach viele Jahre als Ingenieur gearbeitet. Seit einem Jahr lebt er in Wiesbaden – er folgte Freunden und Verwandten nach Deutschland. Weil er auf Deutsch nicht alles ausdrücken kann, was ihm wichtig ist, übersetzt sein Assistent Lion Howitsch. Eine Frage aber scheint ihm so wichtig zu sein, dass er den Umweg der Übersetzung nicht abwarten möchte. Ob das Theater neben seinem Ingenieursberuf ein Hobby für ihn sei? Polovitskiy reißt die Augen weit auf und ruft entschlossen auf Deutsch: »Kein Hobby, das ist mein Leben!« Die Arbeit mit den Laiendarstellern bezeichnet er als schwierig. »Die Leute sind nicht professionell«, sagt er. »Aber sie wollen. Und wer will, der kann auch etwas erreichen«, fügt er bestimmt hinzu. Das Projekt zu Purim wird nicht seine letzte Theaterbearbeitung eines jüdischen Feiertags sein. Mindestens drei weitere Projekte hat er noch vor: Das Pessach-Fest will er ebenso auf die Bühne bringen wie Jom Kippur und Chanukka. »Es gibt noch sehr viele jüdische Feiertage«, sagt Polovitskiy und lächelt. »Kein Ende in Sicht.«

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