Tehilim

Psalmen ohne Trost

von Miron Tenenberg

Der Familienvater Eli Frankel verschwindet spurlos nach einem scheinbar harmlosen Autounfall. Seine Frau Alma und die Söhne Menachem und David bleiben irritiert zurück. Es gibt keine Spuren und somit auch keine mögliche Erklärung für den Verlust. Wie mit dieser unerklärlichen Lage umzugehen ist, liegt nun bei jedem Einzelnen. Es wird eine Zerreißprobe für den Familienzusammenhalt.
Tehilim ist ein beklemmend stiller Film. Wie die Protagonisten wird auch der Zuschauer plötzlich mit dem Verschwinden des Vaters konfrontiert und erlebt mit ihnen dieselben langsamen Strapazen. Noch nach der Vorführung bleibt ein flaues Gefühl in der Brust – kein Film, den man danach bei einem Bier besprechen will.
Regisseur Raphaël Nadjari nennt es »ein sehr verstörendes Thema«: »Mitten in einer Tragödie zu sein ohne das Recht zu trauern«. Ein Rabbiner erklärt der Familie, dass ohne einen Toten kein Totengebet gesprochen wird. Es darf nicht getrauert werden, weil davon ausgegangen werden muss, dass der Vater noch leben könnte. Mit dem rabbinischen Rat, in der Zwischenzeit Buße zu tun, Gebete zu sprechen und Almosen zu geben, kann die moderne Familie nichts anfangen. Ohne die Stütze des Ehemannes und Vaters, ohne den rituellen Halt der Religion, setzt sich jeder alleine mit der Situation auseinander. Alma, die Mutter, säkular und ohne Draht zu der Familie ihres Mannes, verschließt sich den jüdischen Bräuchen. Ihre Trauer behält sie größtenteils für sich, weint fast unmerkbar, leise und versteckt. Für sie beginnt jetzt die erzwungene Emanzipation von ihrem Mann, in Form steter Geldsorgen. Menachem, der ältere Sohn im besten Teenageralter, rebelliert dagegen. Er flüchtet in die traditionelle Welt seines Großvaters väterlicherseits. Der sucht Trost in den Psalmen, hebräisch »Tehillim«. Vor allem widmet er sich Psalm 142 , der nicht, wie die meisten anderen, in einem Lobgesang endet, sondern voll Bitterkeit das eigene Elend und die Einsamkeit anklagt. So geht in der Familie jeder seinen eigenen Weg und vergisst dabei die anderen. Nur der kleine siebenjährige Bruder David verfällt nicht in Sturheit. Mit der Frage an den Großvater, ob Ewigkeit niemals aufhöre, bringt er das Dilemma der Familie auf den Punkt.
Den Zustand kompletter Hilflosigkeit vermitteln auch die einzelnen Szenendramaturgien. Nur wenige Handlungen im Bild werden zu Ende gebracht. Gedreht sind sie stets mit der Handkamera, oft aus distanzierten Perspektiven, durch Fensterscheiben, Zimmer oder an Ecken vorbei. Es ist ein gelungenes Spiel kleiner Gesten, die viel bedeuten. Der Film behält dadurch die notwendige Dichte. In keinem Moment kann der Zuschauer auf ein schnelles Ende hoffen.
Obwohl Tehilim als offizieller Beitrag Israels bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes 2007 lief und auf der Tokio Filmex den Großen Preis gewann, ist er neben anderen aktuellen israelischen Filmen wie Beaufort, Die Band von nebenan, Lemon Tree und Jellyfish in der öffentlichen Wahrnehmung etwas untergegangen. Nur drei Filmkopien werden ab dem 6. März in Deutschlands Filmtheatern kursieren. Behalten Sie den Spielplan Ihres örtlichen Programmkinos im Auge.

Wittenberg

Luthergedenkstätten untersuchen ihre Sammlung auf NS-Raubgut

Zwischen 1933 und 1945 erworbene Objekte werden analysiert

 19.02.2025

Braunau

Streit über belastete Straßennamen im Hitler-Geburtsort

Das österreichische Braunau am Inn tut sich weiter schwer mit seiner Vergangenheit. Mehrere Straßen tragen nach wie vor die Namen bekannter NS-Größen. Das soll sich nun ändern

 13.02.2025

Bund-Länder-Kommission

Antisemitismusbeauftragte fürchten um Finanzierung von Projekten

Weil durch den Bruch der Ampel-Koalition im vergangenen Jahr kein Haushalt mehr beschlossen wurde, gilt für 2025 zunächst eine vorläufige Haushaltsplanung

 12.02.2025

Österreich

Koalitionsgespräche gescheitert - doch kein Kanzler Kickl?

Der FPÖ-Chef hat Bundespräsident Van der Bellen über das Scheitern der Gespräche informiert

 12.02.2025

Düsseldorf

Jüdische Zukunft: Panel-Diskussion mit Charlotte Knobloch

Auf dem Podium sitzen auch Hetty Berg, Armin Nassehi und Philipp Peyman Engel

 11.02.2025

Sport

Bayern-Torwart Daniel Peretz trainiert wieder

Der Fußballer arbeitet beim FC Bayern nach seiner Verletzung am Comeback

 09.02.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.02.2025

USA/Israel

Trump empfängt Netanjahu im Weißen Haus

Als erster ausländischer Staatsgast in Trumps zweiter Amtszeit kommt der israelische Regierungschef nach Washington. In dem Republikaner hat der israelische Besucher einen wohlwollenden Unterstützer gefunden

 04.02.2025

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025