von Ingo Way
Die Wurzeln der deutschen Sozialdemokratie liegen im Judentum. Mit dieser These hat SPD-Neumitglied Hans Erler eine Diskussion über das neue Grundsatzprogramm der SPD angestoßen, das Ende Oktober auf dem Bundesparteitag in Hamburg beschlossen werden soll. Der 65-Jährige möchte erreichen, dass das Judentum als Wurzel der Sozialdemokratie explizit erwähnt wird.
Im bisherigen SPD-Grundsatzprogramm, das 1989 verabschiedet und 1998 noch einmal überarbeitet worden war, heißt es: »Der Demokratische Sozialismus in Europa hat seine geistigen Wurzeln im Christentum und in der humanistischen Philosophie, in der Aufklärung.« Im Programmentwurf, den der Parteivorstand der SPD Anfang 2007 vorlegte, dem »Bremer Entwurf«, ist bereits die Rede von »jüdisch-christlicher Tradition«. Im selben Text wird gesagt: »Wir bekennen uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas.«
Diese Hereinnahme des Jüdischen ist eine Neuerung gegenüber dem alten Grundsatzprogramm. Sergey Lagodinsky, Sprecher des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokraten (AJS), findet allerdings, dass das Jüdische nicht nur als Teil europäischer Tradition, sondern ausdrücklich als Inspiration der Sozialdemokratie genannt werden sollte. Der Vorschlag des AJS lautet dementsprechend, von »der jüdischen und der christlichen Ethik« als geistigen Impulsen der SPD zu sprechen.
Für Hans Erler geht diese Formulierung nicht weit genug. Er möchte, dass das Judentum als »eigenständige geistige Strömung vor ›Christentum, Humanismus und Aufklärung ...‹ erwähnt« wird, wie er in seinem Änderungsantrag schreibt. Seine Begründung: Die Gründerväter der Sozialdemokratie waren Juden und als solche vom jüdischen Denken geprägt – Moses Hess, Karl Marx, Ferdinand Lassalle, Eduard Bernstein. Die Werte der Sozialdemokratie – soziale Gerechtigkeit, Frieden und Toleranz – seien genuin jüdisch. »Die SPD«, so Erler, »verdankt ihre Existenz dem Judentum«. Zudem sei es wichtig, nicht in einer gemeinsamen »jüdisch-christlichen« Tradition die Grenzen und Unterschiede zu verwischen, sondern die Eigenständigkeit des Judentums anzuerkennen.
Ferner sieht Erler das Bekenntnis zur jüdischen Tradition als »Alleinstellungsmerkmal« gegenüber anderen Parteien, vor allem der CDU, deren Mitglied er fast 30 Jahre lang war. Als Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte sich Erler vorwiegend mit jüdischer Geschichte befasst und war zu dem Schluss gekommen, dass die SPD den Werten jüdischen Denkens weit näher stehe als die Christdemokraten. Nach seiner Pensionierung wechselte er folgerichtig seine Parteizugehörigkeit.
Die nordrhein-westfälische SPD unterstützt Erlers Antrag. Dennoch wurden seine Formulierungsvorschläge von der Programmkommission nicht in die Fassung aufgenommen, die auf dem Bundesparteitag beschlossen werden soll. In einem Offenen Brief an den Parteivorsitzenden Kurt Beck gibt Erler seiner Enttäuschung darüber Ausdruck: »Das Judentum heute sozialdemokratisch denken und der Sozialdemokratie den Horizont jüdischen Denkens zu eröffnen«, wäre die beste Grundlage für den Kampf »gegen Antisemitismus, Antijudaismus, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus«.
Karsten Rudolph, Stellvertretender Landesvorsitzender der NRW-SPD und Mitglied der SPD-Programmkommission, unterstützt Erlers Vorstoß. Dass die zuständigen Parteigremien bisher so zögerlich reagieren, habe vor allem damit zu tun, vermutet Rudolph, dass es in der säkularen SPD ohnehin Vorbehalte gebe, sich in eine religiöse Tradition zu stellen. Ferner sei in der Partei die Auffassung weit verbreitet, dass die von Erler genannten jüdischen Gründerväter sich selber nicht als Juden definiert hätten. »Religion war in der SPD stets Privatangelegenheit«, so Rudolph. Dennoch will die NRW-SPD auf dem Bundesparteitag erneut einen Antrag stellen, Erlers Formulierungen in das Grundsatzprogramm aufzunehmen. Rudolph ist optimistisch: »Es gibt da durchaus Offenheit.« Optimistisch ist auch Lagodinsky. Nach Gesprächen mit Mitgliedern des Parteivorstandes am vergangenen Wochenende sei er zuversichtlich, dass der Bezug auf die »jüdische Ethik« in das Programm aufgenommen werde.
Kerstin Griese, Religionsbeauftragte der SPD-Fraktion und Mitglied der Programmkommission, teilt auf Anfrage mit, sie werde das Thema mit den drei Hauptverantwortlichen Hubertus Heil, Wolfgang Thierse und Andrea Nahles noch einmal besprechen. Dem Antrag der NRW-
SPD räumt sie gute Chancen ein. Zwar sei noch nicht klar, welche der vorgeschlagenen Formulierungen übernommen werde, die Aufnahme des Judentums ins Programm sei aber »kein Konfliktpunkt« und die Abstimmung darüber »sicher unpro-
blematisch«, meint Griese.