von Miryam Gümbel
Mit der Aufführung von Viktor Ullmanns »Der Kaiser von Atlantis oder Die Todverweigerung« hat das Orchester Jakobsplatz einen neuen Höhepunkt in seiner Arbeit gesetzt. In einer Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper wurde die selten gespielte Oper zur Eröffnung der Jüdischen Kulturtage im Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums am Jakobsplatz aufgeführt.
Die Handlung ist schnell erzählt: Tod und Harlekin als Verkörperung des Prinzips Leben sind durch die anhaltende Diktatur des Kaisers Overall frustriert. Als der Kaiser den Krieg aller gegen alle proklamiert, fühlt sich der Tod gegen seinen Willen vereinnahmt und tritt in den Streik. Die Menschen, die nun selbst auf dem Schlachtfeld nicht mehr sterben können, erinnern sich an frühere Zeiten und Menschlichkeit. Die Herrschaftsordnung des Kaisers bricht zusammen. Er kommt mit dem Tod zu einem Handel: Er ist bereit, als Erster zu sterben, wenn der Tod damit wieder zu den Menschen zurückkehrt. In der Schlussszene weist der Kaiser darauf hin, dass auch mit seinem Tod die Gewalt unter den Menschen nicht beendet sein wird. Der Schlusschoral betont die Rolle des Todes, der die Menschen den Wert des Lebens lehrt.
Für die Bayerische Staatsoper hatte Iris Jedamski in dem Hubert-Burda-Saal ein modernes und reduziertes, aber gerade dadurch die Handlung betonendes Bühnenbild errichtet, das die einzelnen Sänger in der Inszenierung von Markus Koch auch in der Dramatik der Handlung eindrucksvoll zur Geltung kommen ließ. Die Sänger, allesamt Mitglieder der Staatsoper, beeindruckten durch Auftritt und gesangliche Leistung. Das Orchester Jakobsplatz unter Leitung von Daniel Grossmann, wirkte dem Stück entsprechend in zweierlei Weise: als Begleitung der Sänger, aber auch als kraftvoller Interpret einer eindrucksvollen Komposition, die über die Handlung hinaus aufrüttelte und zum Nachdenken anregte, besonders wenn die Nähe zu seinem Lehrer Arnold Schönberg, aber auch zu Mahler, passagenweise deutlich wird. Viktor Ullmann hat diese Oper im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben, wo ihre Aufführung allerdings kurzfristig verboten wurde. Der Komponist wurde am folgenden Tag nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, ebenso wie der Librettist Petr Kien und fast das gesamte Team der verhinderten Aufführung. Gleichwohl betont Daniel Grossmann, dass über dieses letzte Werk Ullmanns seine musikalische Gesamtpersönlichkeit nicht eingeengt werden sollte. Der Komponist, Pianist, Dirigent und Musikkritiker wurde am 1. Januar 1898 im polnischen Teschen geboren und lebte vorwiegend in Wien und in Prag. Seine Ermordung, so Hausherrin und IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in ihrer Begrüßungsansprache, mache deutlich, welch bedeutendes Kulturgut durch den nationalsozialistischen Vernichtungswahn zerstört wurde.
Ilse Ruth Snopkowski, die Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung Jüdischer Kultur und Tradition, erklärte: »Keiner der Überlebenden konnte sich nach 1945 vorstellen, dass eine Wiedergeburt jüdischer Kultur in Deutschland wieder möglich sein werde. Die Jüdischen Kulturtage, die in diesem Jahr mit dieser Aufführung des Kaisers von Atlantis in dem neuen Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz eröffnet wurden, belegten in eindrucksvoller Weise den Wandel.« Die Arbeit der Gesellschaft beglückwünschte auch Oberbürgermeister Christian Ude in seinem Grußwort. Dass eine Renaissance jüdischen Lebens in der Stadt möglich wurde, sei vielen Initiativen zu verdanken, die das Interesse der Münchner geweckt und das gegenseitige Verständnis gefördert hätten. Als Beispiele über die Gesellschaft hinaus nannte er die Arbeit der Literaturhandlung von Rachel Salamander und das kleine jüdische Museum in der Maximilianstraße von Richard Grimm. Solche Pionierarbeit habe neben dem Einsatz von Charlotte Knobloch dazu beigetragen, dass es heute am Jakobsplatz Synagoge und Gemeindezentrum und ein großes jüdisches Museum gibt. Beim Empfang nach der Aufführung der Oper hatten die Gäste noch lange Gelegenheit, sich über dieses Miteinander auszutauschen. Das aufgeführte Stück selbst bot dabei noch reichlich Gesprächsstoff. Dass dieser nicht nur bei den Überlebenden unter den Anwesenden auch Emotionen auslöste, bestätigte die Aussage des Komponisten Ullmann, der, wiewohl durch die Ereignisse seiner Zeit angestoßen, an die Verantwortung der Macht, aber auch des Einzelnen erinnern wollte. Die Begegnung des Soldaten und des kämpfenden Mädchens, die sich, weil sie sich nicht töten können, auf das Leben und die Liebe besinnen, war dafür ein eindrucksvolles Beispiel.