Kleidung

Priester machen Mode

von Rabbiner S. Tvi Tal

Das 2. Buch Moses (28, 2-43) enthält die detaillierte Schilderung der Priestergewänder. Die Mischna bringt einen langen und ins Detail gehenden Bericht über Kleidung und Ausstattung der Priester bei der Verrichtung des heiligen Amtes. Dabei geht es auch um die Frage, was ein Kleidungsstück für einen Priester ungeeignet macht, und was geschieht, wenn der Priester das heilige Amt in unpassenden Gewändern ausübt.
Für die Tora und die jüdischen Weisen waren diese Gewänder weit mehr als einfach eine Hülle zur Bedeckung des Körpers. Sie verhüllten nicht nur, sie enthüllten auch – sie enthüllten die Person und den Status des Priesters während der Verrichtung des Dienstes im Heiligtum des Herrn. Vielleicht könnte man sagen, dass die Halachot, die sich auf die angemessene Kleidung für das Gebet beziehen – und zwar sowohl für das öffentliche Gebet in der Synagoge als auch für das private Gebet jedes Einzelnen –, davon beeinflusst wurden, welche Bedeutung den Gewändern zukam, die von den Priestern im Tabernakel und im Tempel getragen wurden. Damit wollten die Weisen die Bedeutung der Synagoge als »kleiner Tempel« noch einmal untermauern.
Man kann das Verhältnis zwischen ei-
nem Menschen und seiner Kleidung analog dem Verhältnis zwischen Körper und Seele, zwischen äußerer Umhüllung und innerem Gehalt, verstehen. Daher ist die Wichtigkeit, die wir der Kleidung im Allgemeinen beimessen, eine umso größere, wenn wir vor dem Herrn stehen.
Die meist in der Zeit von Purim gelesene Parascha Tezawe lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, welche Funktion die Kleidung im Buch Esther hat. Es scheint, der Verfasser der Megilla wollte uns durch die diversen Schilderungen von Kleidern und des An- und Entkleidens einen Fingerzeig auf die verborgene Bedeutung der Kleidung geben. Das gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass die Erzählung der Megilla in die Zeit der Rückkehr der babylonischen Exilanten nach Zion fällt – kurz vor dem Wiederaufbau des Zweiten Tempels und der Wiedereinführung des heiligen Amtes in ihm.
Spätere Talmud-Kommentatoren be-
leuchteten die Gebote, die den Priestergewändern gewidmet sind: Ist die Vorbereitung der Kleidung selbst bereits ein Gebot oder ist das Tragen der Kleidung ein Gebot für sich? Gehört es zu den Vorbedingungen des heiligen Opferdienstes, geeignete Kleidung zu tragen? Mit anderen Worten: Sind die Gewänder Mittel oder Zweck?
Das Gebot 99 im Sefer Hachinuch be-
sagt: »Derjenige, der beauftragt ist, den Sühnedienst zu verrichten, muss all seine Gedanken und Absichten auf den Gottesdienst lenken, und daher gebührt es sich, dass er diese besonderen Gewänder trägt. Wenn er irgendeinen Teil seines Körpers ansieht, erinnert er sich augenblicklich an Ihn und denkt an Ihn, den er anbetet. Und dies ist in gewissem Sinne wie die Tefillin, die wir alle nach dem Gebot an bestimmte Teile des Körpers anlegen, damit sie uns daran erinnern, welches Verhalten angemessen ist.«
Betrachten wir das, was die Posekim (halachischen Autoritäten) darüber zu sa-
gen haben: Dabei wird uns klar, dass sie bei der Formulierung der Regeln für das Gebet die im Tempel tätigen Priester in ihrer speziellen Kleidung vor Augen hatten.
In Orach Chajim 91 schrieb Rabbi Jakob ben Ascher (Tur): »Wie soll man sich kleiden? Im Traktat Schabbat (11a) pflegte sich Rabba bar Raw Huna mit schönen Ge-
wändern zu schmücken und einen Gürtel zu tragen, denn es heißt: ›Israel ... mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten.’«
Der Beit Yosef fügte hinzu: »Aber zum Beten soll er sich selbst so sehen, als stünde er vor dem König, und er soll in Ehrfurcht stehen.« Ba’al Ha-Terumah schrieb: »Daraus ist zu lernen, dass ein Mensch beim Gebet einen Gürtel umlegen soll.« Während Machzor Vitri der Meinung ist, dies sei nicht nötig, nur müsse ein Mensch seine Lenden umgürten, damit sein Herz seine Nacktheit nicht sieht. Dennoch schrieb Rosch: »In der Tat ist es ein Gebot, einen Gürtel zu tragen, denn es heißt: ›Israel ... mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten‹.« Auf der Grundlage der Worte der Weisen befanden alle Posekim, dass ein Mensch vor dem Herrn stehen soll wie ein Priester, der das heilige Amt versieht.
Der Kizzur Schulchan Aruch fasste zu-
sammen: »Es steht geschrieben: ›Israel ... mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten’, und das heißt, man muss sich darauf vorbereiten, vor Gott, gesegnet sei Sein Name, zu stehen, in anständigen Kleidern zum Beten gehen, als träte man vor einen hochgestellten Beamten. Selbst wenn man allein zu Hause betet, muss man es in passender Kleidung tun. An solchen Orten, wo es Brauch ist, einen Gürtel zu tragen, ist es verboten, zu beten, ohne einen Gürtel umzulegen.«
Die Hinweise auf Schärpe, Hosen und Kopfbedeckung unterstreichen die Tatsache, dass die Weisen bewusst den Gottesdienst im Tempel zum Vorbild nahmen, als sie für kommende Generationen die Regeln für das Gebet formulierten.
Als man Rabbi Ovadia Josef, den ehemaligen sefardischen Oberrabbiner Israels, nach den Regeln für das Gebet fragte, antwortete er sehr ausführlich: Kann ein Mensch, der im Sommer ein kurzärmeliges Hemd trägt, den Gottesdienst leiten? Antwort: »Im Traktat Berachot 30b heißt es, dass Rabbi Judah sich einst mit schönen Gewändern schmückte, wenn er betete. Im Traktat Schabbat 10a heißt es, Rabba bar Rav Huna habe mit großer Sorgfalt darauf geachtet, dass er beim Beten seine besten Schuhe an den Füßen trug; und er stützte sich dabei auf den biblischen Spruch: ›Israel ... mach dich bereit, deinem Gott gegenüberzutreten, das heißt, ziehe schmückende Kleidung vor Ihm an, wenn du betest. Maimonides sprach wie folgt (Hilchot Tefillah 4.5): ›Vor dem Beten muss ein Mensch als Erstes darauf achten, dass seine Kleider in Ordnung sind, und er muss sich gut kleiden, bevor er betet, denn es steht geschrieben: ›Werft euch nieder vor dem Herrn in heiligem Schmuck.‹ Daher soll man weder barhaupt beten noch barfuß, wenn es in der Gegend Sitte ist, in der Anwesenheit hoch gestellter Personen nicht ohne Schuhe zu stehen.’ Im Tur und im Schulchan Aruch, Orach Chajim (Absatz 98, 4) finden wir: ›Beten steht an der Stelle des Opfers, und daher gebührt es sich, dass ein Mensch zum Gebet besonders gute Kleidung trägt, so wie die Priester besondere priesterliche Gewänder hatten.’ Nicht jeder Mensch kann sich das leisten, doch dann ist es auf jeden Fall richtig und angemessen, dass er zum Beten besonders saubere Ho-
sen trägt. Der Gebetsleiter muss umso mehr darauf achten.«
Der Kommentar von Rabbi Ovadia Jo-
sef fasst die Meinung der Halacha zu-
sammen: dass wir, wenn wir im Gebet vor dem Herrn stehen, darauf achten müssen, uns angemessen zu kleiden. Idealerweise in speziell für diese bedeutende Gelegenheit reservierte Kleidungsstücke, die das Kriterium von Kleidung für den heiligen Gottesdienst erfüllen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien der Bar-Ilan-Universität, Ramat-Gan/Israel.

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