von Christine Diller
Zum runden Geburtstag gab es in München eine Premiere. Beim Festakt zu seinem 60-jährigen Bestehen machte der Landesverband der Israelitischen Kultusge- meinden in Bayern in der Münchner Residenz sich selbst ein Geschenk: Erstmals verlieh er den Rabbiner-Spiro-Preis. Der Fürther Lehrmeister David Spiro hatte seine gesamte Familie durch den Nationalsozialismus verloren. Er selbst wurde schwerkrank von amerikanischen Soldaten aus dem KZ Dachau befreit. Trotz seiner Erlebnisse glaubte David Spiro an eine jüdische Zukunft in Deutschland und wurde zum wirkungsvollen Ratgeber für viele.
Als »Persönlichkeit, die sich um die Aufrechterhaltung und Entwicklung jüdischer Gemeinden im Freistaat Bayern verdient gemacht hat«, so die Auslobung, erhielt nun der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die neue Auszeichnung. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass 1997 zwischen dem Freistaat und dem Landesverband ein Staatsvertrag abgeschlossen wird. Seitdem sind die Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern rechtlich den beiden christlichen Kirchen gleich- und finanziell auf eine sichere Grundlage gestellt. Er freue sich sehr über die Auszeichnunge, bedankte sich Stoiber.
Rabbiner Spiro habe »wie Sie in Ihrem politischen Wirken es getan haben, den größten Wert gelegt auf die Vermittlung von Tradition, von Werten und auf Menschlichkeit«, sagte der Präsident des Landesverbandes Josef Schuster. Und auch Ministerpräsident Günther Beckstein lobte seinen Vorgänger: Er habe unter anderem die Arbeit der Holocaust-Gedenkstätten vorangebracht und für die Zusammenarbeit mit den Kultusgemeinden eine Vertrauensbasis geschaffen. Den Landesverband beglückwünschte Beckstein für seine Integrationsleistungen, für die Aufnahme der jüdischen Zuwanderer aus Osteuropa und die Errichtung von Synagogen und Gemeindezentren: »Dass die mehr als 1000-jährige jüdische Tradition in Deutschland wieder lebendig wurde, ist Geschenk und Hoffnungszeichen«, betonte Beckstein.
Niemand habe vor 60 Jahren an eine dauerhafte Existenz dieses Landesverbandes geglaubt, merkte Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, an. Aufgabe sei es gewesen, »den auf gepackten Koffern sitzenden Überlebenden das Provisorium erträglich zu gestalten«. Knobloch würdigte die Symbolkraft des Staatsvertrags: »Damit sind die jüdischen Bürger endlich angekommen, wohin sie gehören: in die Mitte der Gesellschaft.«
Eher nachdenkliche Töne schlug Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, in seiner Festrede an. »Die Zeit der Koffer ist vorüber«, sagte er und dankte dem Landesverband: »Sie haben die Hand zur Begegnung ausgestreckt, waren bereit zur Versöhnung, haben ihrer schwierigen Heimat die Treue gehalten.« Von seinem Korrespondenten habe er jedoch erfahren: Man sitze in Israel wieder auf gepackten Koffern, um fliehen zu können, falls das Land angegriffen wird. »Es ist wieder so weit«, stellte Gottlieb fest und erinnerte an die besondere Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit und Existenz Israels. Aber auch innerhalb der Bundesrepublik gebe es die gefährliche Tendenz, zur Wegschaugesellschaft zu degenerieren. »Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif«, betonte der Chefredakteur und gab der Festgesellschaft eine Mahnung zu »Freude und Wachsamkeit« mit auf den Weg.