von Katharina
Schmidt-Hirschfelder
Schabbat in Trondheim ist ein halachisches Dilemma. Denn in der norwegischen Stadt, die näher am Polarkreis liegt als an der Hauptstadt Oslo, scheint die Sonne im Sommer um Mitternacht und geht im Winter zeitig unter. Klingt kompliziert. Ist es aber nicht für Trondheims Mini-Gemeinde. Die etwa 150 Mitglieder haben die Frage pragmatisch gelöst, ohne eine halachische Entscheidung abzuwarten: Erev Schabbat und Jom Tov beginnen hier um 17.30 Uhr, zu jeder Jahreszeit. »So haben es schon unsere Vorfahren gemacht«, sagt Gemeindechefin Rita Abrahamsen.
Wer in der Kultur- und Studentenmetropole am Trondheimfjord einen Laden hat, schließt ihn pünktlich um 17 Uhr. Denn eine halbe Stunde später beginnt der Gottesdienst im nördlichsten jüdischen Bethaus der Welt, in der orthodoxen Synagoge in der Arkitekt-Christies-Gate. Allerdings findet der Gottesdienst nur alle zwei Wochen statt. »Ein Kompromiss«, erklärt Abrahamsen. Denn ob man einen Minjan zusammenbekommt, sei manchmal eine Zitterpartie. Vergangene Woche zum Beispiel kamen nur drei Leute. Da musste der Got- tesdienst abgesagt werden. »Das ist aber eher die Ausnahme«, versichert die junge WIZO-Koordinatorin Ruth Gil. Meistens kämen bis zu 30 Personen. Wie für die meisten Trondheimer Juden ist der Freitagabend in der Synagoge auch für Gil vor allem ein gesellschaftliches Ereignis.
Die Liturgie folgt dem aschkenasisch-orthodoxen Ritus, doch die meisten Gemeindemitglieder sind säkular. Ein Paradoxon, wie vieles in Trondheims Gemeinde. »Die Leute hier sind vor allem ihrer Gemeinde zugetan, weniger der Religion und schon gar nicht der Orthodoxie«, erklärt die Gemeindevorsitzende Rita Abrahamsen.
Das könnte sich bald ändern. Denn seitdem vor einem Jahr ein 16-jähriger Schüler das Predigen übernommen hat, ist die Synagoge wieder attraktiv geworden. Ruben Buchman, Trondheimer in der vierten Generation, war schon als Kind der Begabteste im Cheder. Bereits damals las er lieber in der Tora, statt draußen mit seinen Freunden Hockey zu spielen. Wenn der Teenager über Wüstenwanderung und Erstlingsfrüchte spricht, geht den Zuhörern das Herz auf. Danach schmecke auch die Challe noch viel besser, scherzt Rita Abrahamsen. Nur zu den Hohen Feiertagen macht sich ein Rabbiner aus Oslo auf den weiten Weg nach Trondheim, mit rund 170.000 Einwohnern Norwegens drittgrößte Stadt.
Vor dem Krieg lebten hier knapp 300 Juden. Nach dem Überfall Nazideutschlands auf Norwegen am 9. April 1940 gelang vielen von ihnen die Flucht nach Schweden. Darunter auch der Familie von Rita Abrahamsen. Ihre Brüder wurden im Stockholmer Exil geboren, sie selbst kam 1954, nach der Rückkehr der Familie, in Trondheim zur Welt. Alle anderen, die in der nordnorwegischen Stadt geblieben waren, wurden 1942 nach Auschwitz deportiert. Von 135 Trondheimer Juden überlebten nur fünf die Schoa.
»Deshalb sind wir eine so junge Gemeinde. Es leben heute kaum Alte in Trondheim. Eine ganze Generation – einfach ausgelöscht«, sagt Henriette Kahn bitter. Die Chefin des Jüdischen Museums, das im roten Backsteinhaus neben der Synagoge untergebracht ist, schätzt daher umso mehr den Einsatz des jungen Ruben Buchman. Ernst sagt sie: »Wir Trondheimer Juden haben es gelernt, aus der Not eine Tugend zu machen.«