von Alice Lanzke
Tief versinkt man in den roten Plüsch-
sesseln, ein goldener Vorhang glitzert im dämmrigen Licht, der Geruch von frischem Popcorn liegt in der Luft – so fühlt sich Kino an. An manchen Stellen bröckelt der Putz von den Wänden, doch das passt zur Patina der »Kurbel«, des Kinos in Charlottenburg, das in diesem Jahr seinen 75. Ge-
burtstag feiert.
In Zeiten der großen Multiplex-Kinos ist ein solches Jubiläum eines kleinen Hauses etwas Besonderes. Und bei der langen Geschichte verwundert es nicht, wenn Moishe Waks, 56-jähriger Geschäftsführer der »Kurbel«, Schwierigkeiten hat, die Vergangenheit des Filmhauses auf Anhieb zu rekonstruieren. »Während der Nazi-Zeit war hier, glaube ich, ein Kasino für Offiziere untergebracht«, sagt der ehemalige Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde. »Und irgendwann auch mal ein Hundesalon«, ergänzt Theaterleiter Tom Zielinski.
Fest steht jedenfalls, dass der Architekt Karl Schienenmann 1934 den Eckladen im Wohnhaus der Giesebrechtstraße 4 für den jüdischen Betreiber in ein Lichtspielhaus umbaute – das erste reine Tonfilm-Kino der Hauptstadt. Drei Jahre später übernahm Walter Jonigkeit, eine Legende unter den Berliner Kinobetreibern, das Haus – bis weit in die Kriegszeit gelang es ihm, hier Filme zu zeigen. 1944 wurde das Kino zum Munitionslager umfunktioniert, überstand den Krieg aber fast unbeschadet. So konnte Jonigkeit schon am 27. Mai 1946 den Kinobetrieb wieder aufnehmen. Nach den glanzvollen 50er-Jahren, in de-
nen etwa das Leinwand-Epos Vom Winde verweht fast zweieinhalb Jahre am Stück gespielt wurde, traf das Kinosterben in den 70ern auch Jonigkeit – er musste sich von der »Kurbel« trennen.
Es folgten mehrere Besitzerwechsel, ohne größeren Erfolg. So kamen Hausbesitzer Symcha Karolinski und Verwalter Moishe Waks auf den in dieser schwierigen Situation »einzigen logischen Schritt«, wie Waks augenzwinkernd erklärt: »Da muss-ten wir eben selbst Kino machen.«
Im Feburar 2005 übernahmen sie das traditionsreiche Haus. »Das war für uns ein ganz neues Metier – wir mussten erst einmal lernen, wie Kino funktioniert.« Glücklicherweise blieb das alte Mitarbeiter-Team, dennoch mischten sich Waks und Karolinski in der Anfangszeit gerne selbst unter das Publikum. »Wir wollten wissen, was gut ankommt«, so Waks.
Trotz des großen Elans wurden am An-
fang Fehler gemacht. »Wir dachten, wir müssten nur gute Filme aussuchen, und dann läuft das«, sagt Waks. Mit den Finessen des Filmverleihs hatten sie da noch keine Erfahrung.
Heute surft Theaterleiter Zielinski stän-dig auf den Seiten der Verleiher, um rechtzeitig interessante Neuerscheinungen zu finden, die ins Programm passen. Dieses beschreibt Waks als »breites Familien-
Entertainment«: Kassenknüller mit An-
spruch gehörten ebenso dazu wie Kinderklassiker, kleinere Filme und immer mal wieder Produktionen aus Israel, für die Waks dann aktiv in der Gemeinde wirbt – so wie aktuell für Ein Leben für ein Le-
ben. Für diesen Film nach der Romanvorlage von Yoram Kaniuk wurde vom kleinen Verleih nur wenig Werbung gemacht – ein großes Publikum scheint da ausgeschlossen. »Aber auch wenn das kein großer kommerzieller Erfolg wird, werden wir solche Filme immer wieder zeigen«, betont Waks.
Mit dieser Mischung hat sich »Die Kurbel« mittlerweile wieder ein Stammpublikum aufgebaut. Zusätzlich locken besondere Kooperationen Besucher ins Haus: »Wir arbeiten mit der Jüdischen Volkshochschule und mit benachbarten Buchhandlungen zusammen. Außerdem geben wir Wohltätigkeitsvorstellungen für die WIZO«, zählt Waks auf. Obwohl er seine Arbeit als Geschäftsführer als Kür und die für die Hausverwaltung als Pflicht be-
zeichnet, will er nicht Cineast genannt werden: »Als ehemaliger Kulturdezernent habe ich zwar schon immer eine Affinität zu dem Thema gehabt, aber Cineast – das wäre dann doch zu anmaßend.