von lars spannagel
Achtundsiebzig Minuten mußten sich die Spieler der zweiten Mannschaft von TuS Makkabi Berlin beschimpfen und bedrohen lassen, ehe sie das Kreisligaspiel am 26. September bei der VSG Altglienicke II selbst abbrachen. Die Fußballer berichten, rund zehn Zuschauer hätten vom Spielfeldrand permanent Parolen wie »Vergast die Juden«, »Auschwitz ist wieder da« oder »Hier regiert die NPD« gegrölt. Der Schiedsrichter habe die Beleidigungen gehört, aber nicht eingegriffen. Inzwischen beschäftigt der Vorfall den Staatsschutz und den Berliner Fußball-Verband (BFV).
Spieler des TuS Makkabi sagen, bereits vor dem Spiel hätten einige der rund 50 Zuschauer antisemitische Parolen gesungen. Die Mannschaft bat Schiedsrichter Klaus Brüning, das Publikum im Auge zu behalten, der habe allerdings nicht eingegriffen. »Der Schiedsrichter hat einen großen Teil zur Eskalation der Situation beigetragen«, sagt Makkabi-Spieler Konstantin Shapiro. Auch die Verantwortlichen von Altglienicke hätten nichts unternommen, um die Pöbler wegzuschicken. Altglienickes Mannschaft habe sich aber fair verhalten.
Trainer Ilja Slawinski wirft Schiedsrichter Brüning vor, seine Mannschaft bewußt benachteiligt zu haben. Makkabi-Spielmacher Vernen Liebermann erzählt, einer seiner Mitspieler habe einen Zuschauer zurechtgewiesen. Brüning habe dies mit einer gelben Karte bestraft. »Wir konnten das gar nicht glauben«, sagt Liebermann.
Die Pöbler sollen sich bei Anpfiff der Partie direkt neben der Auswechselbank der VSG Altglienicke postiert und von dort weitergegrölt haben. Altglienickes Trainerin Kerstin Forchert erklärte, nichts bemerkt zu haben. Offiziell wollte sich bis zur Sportgerichtsverhandlung niemand bei der VSG Altglienicke zu dem Vorfall äußern. Auf den Internetseiten von Makkabi, Altglienicke und des Berliner Tagesspiegels haben inzwischen einige Altglienicker Spieler und Vereinsmitglieder Stellung genommen und sich bei Makkabi entschuldigt.
Der Berliner Fußball-Verband kündigte vergangene Woche als Reaktion auf die Geschehnisse an, stärker gegen Hetze auf Berlins Fußballplätzen vorgehen zu wollen. Bis Ende Oktober sollen entsprechende Handlungsanweisungen für Schiedsrichter und Vereine erarbeitet werden. BFV-Präsident Bernd Schultz sagt: »Falls wir Nachlässigkeiten feststellen, werden wir hart durchgreifen.« Schultz machte den Fall zur Chefsache: Er ließ die Sitzung des Sportgerichts um drei Tage auf den 10. Oktober vorverlegen und nahm selbst an der Verhandlung teil. Außerdem habe er am 2. Oktober den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), Theo Zwanziger, informiert. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und Beleidigung, die Polizei befragt zur Zeit Spieler und andere Zeugen.
Der Vorsitzende von TuS Makkabi, Tuvia Schlesinger, hatte dem BFV vier Tage nach dem Spiel »Sprach- und Tatenlosigkeit« vorgeworfen. Man wolle einen »Mantel des Schweigens« über die Angelegenheit breiten. Erst nachdem Schlesinger gedroht hatte, nicht nur die Presse, sondern auch UEFA und FIFA zu informieren, ging der BFV am 2. Oktober an die Öffentlichkeit. »Einen so schlimmen antisemitischen Vorfall hat es im deutschen Sport seit Ende der Hitlerdiktatur nicht gegeben«, sagt Schlesinger. Mit der »pogromartigen Stimmung« bei dem Spiel sei ein Punkt erreicht, an dem Schluß sein müsse. Es handele sich nicht mehr um eine sportliche Angelegenheit, sondern um eine politische.
Die Sportgerichtsverhandlung sollte zunächst klären, wer schuld am Spielabbruch ist und wem die Punkte zugesprochen werden. Das Gericht vertagte seine Entscheidung, nachdem vier Stunden lang Zeugen befragt worden waren. Am 13. Oktober werden die fünf Mitglieder der Kammer noch einmal beraten und Anfang nächster Woche ihre Entscheidung mitteilen.
Zum Zeitpunkt des _Spielabbruchs stand es 4:1 für Altglienicke. Grundlage der Verhandlung sind die Spielberichte des Schiedsrichters und der beiden Klubs. Verbandspräsident Schultz bezeichnet die Berichte als »nicht unbedingt deckungsgleich«. Schiedsrichter Brüning schreibt, er habe keine Beleidigungen gehört. Er stellte einen Makkabi-Spieler wegen Unsportlichkeit vom Platz, als dieser seine Mannschaftskameraden aufforderte, das Spiel abzubrechen. Makkabi-Spieler Liebermann beschreibt das so: »Ich habe zum Schiedsrichter gesagt: Wenn Sie einen Funken Anstand haben für die Geschichte in diesem Land, dann müssen Sie uns jetzt helfen.« Daraufhin habe ihm Brüning Gelb-Rot gezeigt. Brüning vermerkte in seinem Bericht, von Makkabi-Spielern beleidigt worden zu sein. Makkabi hat das zugegeben, weist aber darauf hin, daß grobe Fehlleistungen Brünings vorausgegangen seien.
Im ihrem Bericht erwähnt die Trainerin der VSG Altglienicke lediglich »eine Bemerkung eines uns unbekannten Zuschauers«, die sie selbst aber nicht gehört habe. Vernen Liebermann kam es so vor, als würden sich Spieler und Zuschauer kennen. VSG Altglienicke erklärt mittlerweile, auf Weisung des BFV nichts mehr zu den Vorfällen sagen zu dürfen. Der BFV dementiert dies. »Dem Verein ist kein Maulkorb erteilt worden«, sagt BFV-Präsident Schultz, »dazu haben wir auch gar keine Befugnis.«
Dem Verein drohen nach dem Disziplinarreglement der FIFA harte Strafen. Der Deutsche Fußball Bund hat die entsprechenden Paragraphen vor einem Monat in seine Rechts- und Verfahrensordnung übernommen. Hier heißt es: »Verhalten sich Spieler, Offizielle oder Zuschauer in irgendeiner Form rassistisch oder menschenverachtend (…), werden der betreffenden Mannschaft, sofern zuordenbar, beim ersten Vergehen drei Punkte und beim zweiten Vergehen sechs Punkte abgezogen. Bei einem weiteren Vergehen erfolgt die Versetzung in eine tiefere Spielklasse.«
Makkabi ist bereits in der Vergangenheit Anfeindungen begegnet. »Die Stimmung ist in den letzten Monaten aggressiver geworden«, sagt Claudio Offenberg, Trainer von Makkabis erster Herrenmannschaft. »Das kann man nicht an einzelnen Vereinen festmachen, es ist eher ein undefinierbares Gemisch, das uns da entgegenschlägt.« So schlimm wie in Altglienicke sei es jedoch noch nie gewesen. Tuvia Schlesinger erklärte, in Zukunft werde der Verein dem BFV »jede Kleinigkeit« melden.
Beim nächsten Auswärtsspiel von TuS Makkabi II am vergangenen Sonntag gegen den SV Berliner Brauereien in Prenzlauer Berg (Endstand 0:0) gab es keine besonderen Vorkommnisse. Zwei Spieler von Makkabi seien aber nicht zum Spiel mitgefahren, sagt Shapiro. »Die haben keine Lust mehr, in östlichen Bezirken zu spielen.«