Die Krise ist da. Schlagzeilen tönen von Konkurs und Zahlungsunfähigkeit, juristisch feiner: von Insolvenz. Doch Hochkonjunktur haben derzeit zwei Wörter: Bankrott und Pleite.
Bankrott für finanzielles Scheitern wurde im 16. Jahrhundert aus dem Italienischen entlehnt: Banca rotta ist der »zerbrochene Tisch«, auf dem Geldwechsler ihre Sorten auslegten. Johann Fischarts Gar-gantua-Bearbeitung sprach 1575 von »bankbrüchigen Kaufleuten«. Eine Metapher, denn dass illiquiden Händlern ihre Wechseltische öffentlich zerschlagen wurden, ist nirgends bezeugt. Fantasie und Spekulation beleben Börsenparkette und Etymologien gleichermaßen.
jiddisch Schillernder ist das Wort Pleite, abgeleitet aus dem westjiddischem »pleto« für »Flucht« – der Flucht vor drohender Haft des Schuldners. »Pleto melochnen«, Pleite machen, hieß, sich auf die Flucht begeben. Hans-Peter Althaus schreibt in seinem Buch Chuzpe, Schmus und Tacheles (C. H. Beck 2004), dass mit »machulle«, »kapores« und »pleite« drei Wörter für wirtschaftlichen Zusammenbruch zu uns gelangten: »Machulle ist das jüdische Wort für denselben Sachverhalt, aber mit einem anderen semantischen Potenzial. Es ist im Deutschen mehr in den Mundarten als in der Umgangssprache bekannt. Kapores hat einen religiösen Hintergrund, der bei Juden stets mitschwingt, und klingt außerdem ein wenig an kaputt an. (…) Pleite wird von Nichtjuden bevorzugt und ist heute ein Leitwort der Presse und Öffentlichkeit.«
volkstümlich Im Eichstetter alemannischen Dialekt hört man noch heute Sätze wie: »I ka’s nit verschdoh, dass der uff eimol machulle g’macht het, die erschde Johr het er doch immer e scheene Reibach g’macht.« Die »Masematte«, die »dritte Sprache« Münsters, kennt »plete gehen« für »weggehen«: »nichts wie plete« – nichts wie weg! Konkurs anmelden heißt dort »abmeiern«. Pleite für überschuldet wurde auch im Frankfurterischen erst im 20. Jahrhundert zu gängiger Sprachmünze. Geld geht oft auch flöten, daher rückten manche Forscher (etwa Leo Rosten in seiner bei dtv erschienenen Jiddisch-Enzyklopädie) auch dieses Verb in die etymologische Nähe der Pleite. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass der Begriff auf das mittelniederdeutsche Verb »vlöten« (fließen, treiben, geschwemmt werden) zurückgeht.
Der gelegentlich auch den Bundesadler bezeichnende Pleitegeier ist für Werner Weinberg (Die Reste des Jüdischdeutschen) »der mystische Vogel des Bankrotts, im Volkshumor der ›Kuckuck‹ des Gerichtsvollziehers«. Beide Deutungen hatte wohl Guido Westerwelle bei seiner jüngsten Regierungsattacke im Kopf: »Wenn bei den Großen einer pleitegeht, kommt der Bundesadler. Wenn bei den Kleinen einer pleitegeht, kommt der Pleitegeier.« Wobei der Vogel Pleitegeier im Ursprung keine ornithologischen Anklänge hat– er ist die volksetymologische Umdeutung des »Pleite-Gejers«, des Bankrotteurs, der – unver
schuldet oder betrügerisch– pleitegeht.
literarisch Pleite sein, pleitegehen, Pleite schieben – der variationsreiche Gebrauch war bei Schriftstellern, Theaterkritikern und Journalisten stets beliebt. Schon 1856 hieß es in dem Berliner Satirejournal Kladderadatsch: »Ultimo! Die große Pleite ist gekommen der Papiere, und es tönt von Näh’ und Weite: Mach dich fertig! Reguliere!« 1857 sinnierten die ständigen Figuren des Blattes: »Müller: Was heeßt denn des eijentlich: Perpetuum mobile? Schulze: Wenn etwas jar nich aufhört. Müller: Ach soo! Also was wir jetzt auf Deutsch Pleite nennen?« Von Februar 1919 bis Januar 1920 erschien im Berliner Malik-Verlag Die Pleite, eine kulturpolitische Halbmonatsschrift. Das dem Dadaismus verbundene, linksradikale Blatt mit viel beachteten satirischen Zeichnungen gründeten der Verleger und Schriftsteller Wieland Herzfelde und der Grafiker und Karikaturist George Grosz, der die Ausgaben mit den Malern Otto Dix und Conrad Felixmüller künstlerisch begleitete. Hans Fallada brachte sein Buch Kleiner Mann, was nun? 1932 den Durchbruch als Romancier – mitten in der Weltwirtschaftskrise. Mit der ihm eigenen neuen Sachlichkeit befand der Autor dort: »Der arme Kerl hat in letzter Zeit eine Pleite nach der anderen geschoben. War ich mal nicht da, haben sie ’ne Pleite geschoben.« Eine Pleite schieben heißt hier Misserfolg haben. Karl Kraus’ Fackel erwähnte 1931 einen Fabrikanten, der dem Finanzamt auf einer Zahlkarte die Abwandlung des zweiten Goetheschen Nachtlieds präsentierte: »In allen Geschäften ist Ruh, / Von Umsätzen spürest du / Kaum einen Hauch. / Schon ist pleite / die Kundschaft, die alte; / Warte nur! Balde / bist du es auch!«
Alfred Kerr verwendete das Wort 1926 in dem Gedicht Thomas Bodenbruch, einer Sottise gegen den Buddenbrooks-Autor Thomas Mann: »Als Knabe war ich schon verknöchert; / Ob knapper Gaben knurr-ergrimmt, / Hab dann die Littratur gelöchert / Mit Bürger- und Patrizierzimt. / Sprach immer stolz mit Breite / Von meiner Väter Pleite.« Thomas Mann hat ihm diese Zeilen wohl nie verziehen. Und in dem Gedichtband Liebes Deutschland reimte Kerr 1932: »Wer Hitler so zur Seite steht, / Bewirkt, dass Deutschland pleitegeht.«
Und was tröstet uns angesichts der Pleiten? Ein jiddisches Sprichwort: »Fer geld bekumt men ales, nor kejn sséjchel nit« – für Geld bekommt man alles, nur keinen Verstand!