geschichte
Platzverweis
Eine Studie über
antijüdische Maßnahmen
der Reichsbahn
von Katrin Richter
Die Krausenstraße 17 liegt in Berlins Mitte, am historischen Ort zwischen Checkpoint Charlie und Gendarmenmarkt. In dieser eher unscheinbaren Straße befindet sich eine Abteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Von 1937 an war dort das nationalsozialistische Reichsverkehrsministerium un- tergebracht. Und auch dort wurde bis 1945 antijüdische Politik gemacht. Das geht aus einer Studie hervor, die Bundesverkehrminister Wolfgang Tiefensee (SPD) in Auftrag gegeben hatte und am Dienstag vorstellte. »Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt« zeigt, wie sehr das damalige Verkehrsministerium an der Verfolgung der Juden und der Schoa beteiligt war.
Die Autoren Alfred Gottwaldt (Deutsches Technikmuseum) und Diana Schulle (Mitarbeiterin am Centrum Judaicum) befassten sich mit den zahlreichen kleinen Schritten, die zur Entrechtung der Juden führten. Am Anfang stand die Übernahme der Reichsbahnleitung durch das Reichsverkehrsministerium. Geradezu perfide mutet es heute an, wie sich die Angestellten im Ministerium damals über bürokratische Details den Kopf zerbrachen: Wie soll es Juden überhaupt verboten werden, bestimmte Waggons wie den Speisewagen zu betreten oder überhaupt, mit der Bahn zu fahren? 1939 beschloss das Reichsverkehrsministerium, dass Juden keine Speise- und Schlafwagen mehr benutzen durften, da dies ein »Bonusangebot« der Bahn sei. Die Speisewagenkellner wurden angewiesen, einen Fahrgast, der »jüdisch« aussieht, aufzufordern, den Ausweis vorzuzeigen und ihn gegebenenfalls des Wagens zu verweisen. Jüdische Fahrgäste aus dem Ausland durften allerdings im Wagen bleiben. Bis 1942 kamen weitere antijüdische Maßnahmen hinzu, bis hin zum Verbot der Straßenbahnbenutzung.
Schulle und Gottwaldt haben zudem untersucht, welche Rolle die einzelnen Beamten bei der Umsetzung der antisemitischen Verordnungen spielten. Ihr Fazit: Meistens folgten die Mitarbeiter den Anweisungen. Doch es gab Ausnahmen. Gottwaldt schildert, dass sich gerade auf niedriger Ebene Angestellte mit vorwiegend kommunistischem Hintergrund für jüdische Fahrgäste einsetzten, ihnen gefälschte Fahrkarten gaben oder »einfach mal ein Auge zudrückten«. Angesichts der Gefahr, von der Gestapo abgeholt zu werden, ein Akt der Zivilcourage.
»Man muss Gesicht zeigen«, sagte Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Präsentation der Studie. Sie betonte aber, dass sich die Ereignisse von damals nicht mit denen von heute vergleichen ließen. Und Knobloch empfahl die Studie als Vorbild: »Sie ist ein wichtiges gesellschaftliches Signal und Ausdruck einer demokratischen Erinnerungskultur.« Nicht jede deutsche Institution oder Behörde sei bereit, sich mit diesem Teil der Vergangenheit zu befassen.
alfred gottwaldt/diana schulle: »juden ist die benutzung von speisewagen untersagt«. die antijüdische politik des reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945. Berlin: Hentrich & Hentrich 2007, 119 Seiten, 19,90 €