von Andreas Loos
Eliza machte ihn berühmt. Das Computerprogramm, das Joseph Weizenbaum 1966 schrieb, durchsucht die Sätze seines menschlichen Gegenübers nach Schlüsselwörtern und bettet sie in Antwortbausteine ein. So entstehen »Gespräche«, die frappierend an Unterhaltungen mit Psychotherapeuten erinnern. Weizenbaum selbst hielt sein Programm, das er nach Eliza Dolittle aus George Bernard Shaws Pygmalion benannt hatte, nie für echte »künstliche Intelligenz«. Roboter, die Ping-Pong spielen – so etwas würde ihn wirklich beeindrucken, sagte er gerne. Doch so weit sollte es nicht kommen: Joseph Weizenbaum, Computerpionier und Wissenschaftskritiker, starb am 5. März in Berlin an einem Schlaganfall.
Bestürzt vom Zutrauen, das Computernutzer den paar Bytes entgegenbrachten, aus denen Eliza bestand, kämpfte er lebenslang gegen blindes Technikvertrauen. Weizenbaum mahnte Verantwortung an, bei Computernutzern wie -wissenschaftlern. »Die unkluge Anwendung immer größerer und immer komplexerer Computersysteme könnte die Ebbe und Flut der Kulturen durch eine Welt ohne Werte ersetzen«, warnte er schon 1972. Damals war das Internet kaum vorstellbar. Vier Jahre später erschien sein Hauptwerk Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Spätestens damit entwuchs die Informatik ihrer behüteten Kindheit in Mathematik und Logik, in der sie unberührt von ethischen Fragen aufgewachsen war.
»Wir haben immer eine große Verantwortung gegenüber anderen Menschen, denn wir wissen nie, welche Geste, welches Wort die anderen Menschen vielleicht sehr tief beeinflusst«, sagte Weizenbaum 2003. Zu dieser Zeit lebte er wieder in Berlin, in der Nähe des Gendarmenmarktes, wo er 1923 als Sohn eines Kürschnermeisters zur Welt gekommen war. Hier hatte er die Folgen des Ersten Weltkriegs erlebt: »Ich habe die Krüppel gesehen auf der Straße, als Zehnjähriger. Ich sah Menschen, die ihre Lungen ausgehustet haben, von einem Gas, das von einem deutschen Nobelpreisträger als Waffe eingeführt worden war.« 1934 wurde Weizenbaum aufgrund der Rassengesetze vom Luisenstädtischen Realgymnasium relegiert und wechselte auf eine Knabenschule im Scheunenviertel. Die Begegnung mit armen ostjüdischen Mitschülern, denen sein Vater verbot, mit nach Hause zu kommen, wirkte prägend.
Im Jahr darauf floh die Familie in die USA, nach Detroit. Dort begann Weizenbaum ein Mathematikstudium, das er 1950 abschloss. Er beteiligte sich am Bau des ersten Großrechners der Universität und konstruierte Computersysteme für General Electric. 1963 kam er als Professor an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und blieb dort bis zu seiner Emeritierung 1988. Am MIT erlebte Weizenbaum auch den Vietnamkrieg. »Ich habe natürlich an die deutschen Wissenschaftler gedacht, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit dem Militär kooperiert haben. Ich habe mein Bestes getan, nicht mitzumachen.«
Dabei blies ihm der Wind oft hart entgegen. Immer wieder sah sich der spätere mehrfache Ehrendoktor und Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes heftiger Kritik ausgesetzt. Doch der Vater von vier Töchtern blieb bis zuletzt optimistisch. »Ich glaube, was die Menschen endlich erkannt haben, ist: Der Feind ist nicht eine andere Nation«, sagte er nach den weltweiten Protesten gegen den Irakkrieg. »Der Krieg ist selbst der Feind.«