Wahlanalyse

Pensionäre fürs Parlament

von Wladimir Struminski

Selbst noch, als sich Ehud Olmert in der langen Wahlnacht zum Wahlsieger erklärte, wirkte der Kadima-Chef kraftlos, enttäuscht, grau. Nicht ohne Grund: Statt der 34 bis 36 Mandate, die ihr die letzten Vorwahl-Umfragen prophezeit hatten, kam Kadima (Vorwärts) nur auf 28 der 120 Knesset-Sitze. Wäre Ariel Scharon noch gesund, ging es vielen Bürgern durch den Kopf, sähe das Wahlergebnis seiner Partei wohl besser aus. Wenn’s denn ein Trost ist: Nicht nur in Sachen Kadima hatten sich die Meinungsforscher erheblich verschätzt.
Wahlverlierer Nummer eins ist jedoch Likud-Chef Benjamin Netanjahu, dessen vollmundige Rebellion gegen Scharon jetzt in einem Desaster endete: Die Partei kam gerade noch auf 11 Mandate. Drei Jahre zuvor hatte der Likud unter Scharons Führung 38 Abgeordnete ins Parlament entsandt. In der neuen Knesset stellt er nur noch die fünftgrößte Fraktion. Ein Großteil der einstmaligen Likud-Wähler entschied sich diesmal für Kadima oder aber für die rechte Immigrantenpartei Israel Beitenu. Diese überraschte Freund, Feind und sich selbst mit 12 Knessetsitzen.
Auch die sefardisch-ultraorthodoxe Schas konnte vom Verfall des Likud profitieren und ist nun mit 13 Parlamentariern vertreten. Die siedlernahe nationalreligiöse Gemeinschaftsliste kam auf 9 und die aschkenasischen Ultraorthodoxen vom Tora-Judentum auf 6 Sitze.
Auf der Linken konnte die Arbeitspartei ihren Besitzstand mit 20 Mandaten im wesentlichen wahren, während die linke Meretz mit nur noch 4 Knessetmitgliedern weiter an Bedeutung verlor. Zu den Verlierern gehört auch die laizistische Schinui, die in der neuen Knesset nicht vertreten sein wird. Die drei arabischen Parteien konnten ihre Präsenz –auch das unerwartet – von 8 auf 10 Mandate ausbauen. Die größte Überraschung aber bot die Pensionärspartei Gil. Sie zieht mit 7 rüstigen Senioren ins Parlament ein.
Weichenstellend sind jedoch nicht die Ergebnisse einzelner Parteien, sondern die der großen Blöcke. Und hier ist der Befund eindeutig: Das rechtsreligiöse Lager wurde als die tonangebende Kraft des Landes abgelöst und muß sich – statt der 69 Mandate, die es noch vor drei Jahren erhalten hatte – diesmal mit nur noch 51 Sitzen be- gnügen. Demgegenüber legte das Mitte-Links-Lager von 43 Abgeordneten auf 59 zu. Diese Zahl schließt neben Kadima, der Arbeitspartei und Meretz auch die 7 Pensionäre ein. Letztere haben noch in der Wahlnacht auf höchst pragmatische Weise klargestellt, daß sie sich der Regierung Olmert anschließen wollen, falls diese auf ihre sozialen Forderungen eingeht.
Da die arabischen Parteien für ihn als Mehrheitsbeschaffer nicht in Frage kommen, wird Olmert auch Koalitionspartner von rechts brauchen. Eine naheliegende Möglichkeit ist das Tora-Judentum, das sich ins Unvermeidliche fügen und Olmert unterstützen will, falls die Gegenleistung stimmt. Selbst Schas hat trotz ideologischer Feindschaft zu Kadima ihren Willen zur Mitregentschaft angedeutet.
So kann Olmert trotz der herben persönlichen Enttäuschung sein großes Vorhaben in die Wege leiten: den Rückzug aus einem Großteil der West Bank. Die neue Regierung hat aber die nicht minder wichtige Aufgabe, der Politikverdrossenheit der Bürger entgegenzuwirken. Wie weit die Wähler den Partien mißtrauen, zeigte sich am Dienstag nicht nur in der mit 63 Prozent niedrigsten Wahlbeteiligung in Israels Geschichte. Auch der Erfolg der bisher völlig anonymen, ideologielosen Pensionärspartei ist ein Warnzei- chen. Er zeigt, daß viele Menschen den etablierten Parteien die Lösung wichtiger Probleme nicht zutrauen.

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