von Jonathan Scheiner
Rav Shmuel fühlt sich wie ein Rockstar. Das sieht man ihm nicht an, wenn er mit seinen sechs Kindern durch Greenwich Village schlendert. Mit seiner Kippa und den Pejes wirkt er wie ein ganz normaler frommer Jude. Doch wenn Shmuel abends auf der Bühne steht, versteht man, warum er immer wieder, fast bis zum Überdruss, von seinem Publikum hört: »Du bist ja wie Matisyahu«. Matisyahu, der chassidische Reggae- und Hiphopsänger wurde mit Songs berühmt, deren talmudische Verse in bester Beatboxer-Manier gerappt wurden. Shmuels Songs werden zwar dem Anti-Folk zugeordnet, aber eine gewisse Ähnlichkeit mit Matisyahu ist nicht zu leugnen.
Beide Musiker gehören zu einer New Yorker Musikszene, die seit rund 15 Jahren ihr Judentum offensiv nach außen trägt. Der Glaube wird nicht bloß als »religiöses Ding« zur Schau gestellt, sondern als kulturelle Angelegenheit, als Haltung und »Setting« begriffen.
Die Hamburger Filmemacherin Wendla Nölle präsentiert diese Szene in ihrer 88-minütigen Dokumentation »The Chosen Ones«, zu deutsch »Die Auserwählten«. »Mich hat daran interessiert, dass man in Deutschland ein Bild von Judentum vermittelt bekommt, das immer an den Holocaust gekoppelt ist. Dabei gibt es inzwischen so viel mehr«, erzählt die Regisseu- rin. »Ich wollte eine junge Generation von Juden ins Bild setzen, die offensiv mit ihrem jüdischen Lebensgefühl umgehen.« Zu denen zählen neben Matisyahu und Shmuel auch der jüdische Bluesmusiker Jeremiah Lockwood, die Band »Blue Fringe« und Annette Ezekiel von der Punk-Klesmerband Golem. Mit dabei sind auch Balkan Beat Box, die bei der Vermischung von jüdischer Identität und Hiphop als Pioniere gelten. Ihre Musik ist eine reichhaltige Mixtur aus verschiedenen Stilen. Selbst arabische Musik wird integriert, was die Band um die drei Israelis Tamir Muskat, Ori Kaplan und Tomer Yosef als politisches Signal verstehen. Konzerte der Band sind nicht einfach nur das Abspielen von Songs, sondern ein Happening, bei dem es stets zu größeren Rudelbildungen auf der Bühne kommt. Wen kümmert es da noch, woher die einzelnen Leute kommen.
Gemeinsam ist den jungen jüdischen Performern, dass ihre jüdische Identität sich sowohl in den Texten spiegelt wie in der Musik, in die jüdische Melodien aus allen Himmelsrichtungen integriert werden. Neben Klesmer und jiddischen Liedern werden misrachische, jemenitische und sefardische Klänge verwendet, als Aromen, als Spurenelemente oder offene Zitate. Auch der Rapper Y-Love, mit bürgerlichem Namen Yitz Jordan, der erst im Jahr 2000 zum orthodoxen Judentum konvertierte, singt Songs in Amerikanisch und Arabisch ebenso wie in Jiddisch und Aramäisch. Begleitet wird er dabei von einem Tausendsassa der jüdischen Musikszene. Seine Name: DJ Handler alias Erez Safar. Der Mann ist nicht nur Discjo-ckey, sondern auch Gründer und Direktor von shemspeed.com, Betreiber des unabhängigen Record-Labels Modular Moods und Initiator des Sephardic Music Festivals in New York. Y-Love und DJ Handler kommen diese Woche auf Stippvisite nach Berlin. Am Samstag, den 17. Mai treten sie beim Limmud-Festival in Werbellinsee auf, einen Tag später, am 18. Mai, im Anschluss an die Filmvorführung von »The Chosen Ones« im Kino Babylon in Berlin um 18 Uhr.
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