von Sabine Brandes
Das Volk hat gesprochen. Und so hat der Präsident. Staatsoberhaupt Schimon Peres hat den Likud-Vorsitzenden Benjamin Ne-
tanjahu mit der Regierungsbildung beauftragt. Nachdem er sich mit Vertretern aller Parteien zu Unterredungen getroffen hatte, verkündete er, dass es nun darum gehe, eine breite Koalition zu bilden. »Die Menschen in Israel brauchen eine stabile Re-
gierung für die Aufgaben, die vor uns liegen«, betonte Peres.
Die offene Frage ist, ob Netanjahu in der Lage sein wird, seine Gegner, Kadima-Chefin Zipi Livni und Ehud Barak von der Arbeitspartei, für eine stabile Koalition in die Regierung zu locken. Vor der Presse betonte er die anstehenden Herausforderungen: »Der Iran entwickelt nukleare Waffen und stellt damit die größte Bedrohung Israels seit dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 dar. Irans Flügel des Terrors bedrohen uns in Nord und Süd.« Er rief die Mitglieder aller Fraktionen auf, Unstimmigkeiten beiseite zu lassen und sich auf das Wohl des Staates zu besinnen. Livni und Barak drängte er, »im Sinne der nationalen Einheit mit ihm Hand in Hand zu gehen«.
Ein erstes Gespräch mit Livni erwies sich als nicht besonders fruchtbar. Zumin-
dest nach Meinung der Kadima-Frau: »Ich ändere meine Meinung in zentralen Fragen nicht und habe verstanden, dass Netanjahu nicht einmal die Worte ›Zwei Staaten für zwei Völker‹ sagen kann. Offensichtlich kann er sich somit diesem Ziel nicht verschreiben.« Der rechte Block ist fast ausnahmslos gegen Gespräche mit und Zugeständnisse an die Palästinenser, während Kadima auf eine langfristige Lösung in Sachen Frieden setzt. Einheit bedeute nicht, so Livni weiter, sich einfach mit einer Menge Leute an einen Tisch zu setzen, sondern dieselben Werte zu haben. In einer SMS an ihre Mitglieder machte sie deutlich, dass sie sich auf Opposition einstelle. »Es gibt nichts für uns in so einer Regierung. Wir müssen die Hoffnung von außen bewahren.« Zwar sind weitere Gespräche zwischen den beiden Politikern geplant, ein Sprecher meinte jedoch, die Chancen auf einen Zusammenschluss seien sehr gering. Parteimitglied Schaul Mofas indes ist der Meinung, es sei falsch, Netanjahu die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Weshalb der sich so abstrampelt, ungewöhnlich flexibel und geduldig zeigt, ist vielen Israelis ein Rätsel. Warum marschiert er nicht einfach durch, verfolgt den Kurs, den er während des Wahlkampfes nimmermüde wiederholte? »Unerbittliche Härte gegen die Feinde Israels. Fokus auf Sicherheit und Wirtschaft.« Warum packt er die Gelegenheit nicht beim Schopf und koaliert mit Avigdor Lieberman und Parteien der rechten Peripherie. Die Mehrheit hätte er so gut wie sicher, zumal ihm der Unser-Heim-Israel-Mann seine Koalitionswilligkeit vor wenigen Tagen verkündet hatte. Immerhin hat Netanjahu bei dieser Wahl 15 neue Sitze gewonnen und dem Likud zu neuem Glanz verholfen. Zusammen mit Lieberman, Schass, Vereintes Tora-Judentum, Jüdisches Haus und der Nationalen Union hätte er eine 65-Sitze-Mehrheit in der Tasche – und ideologisch eindeutig Verbündete.
Viele Kommentatoren im Land meinen, Netanjahu habe schlicht Angst vor der eigenen Courage bekommen. Sein Getöse, er wolle der Welt zeigen, wie er den Iran in Schach hält, Publikationen zum Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und der Unteilbarkeit Jerusalems so-
wie die Ankündigung, der Hamas ein für allemal den Garaus zu machen, sind extreme Äußerungen. Vor allem bei der neuen amerikanischen Regierung dürften die für mehr als bloßes Stirnrunzeln sorgen. US-Präsident Barack Obama wird nach dem Scheitern Bushs, in Nahost zu klaren Ergebnissen zu kommen, schon bald in Zugzwang geraten. Dabei wird er sich kaum von einer ultrarechten Regierung, die zu keinerlei Konzessionen an die Paläs-
tinenser oder Syrer bereit ist, einen Strich durch die Rechnung machen lassen wollen. Oder sieht Netanjahu vielleicht selbst die verheerenden Folgen, die eine solch kompromisslose Politik für sein Land bringen könnte?
Vielleicht ist er aber ein Meisterstratege, der auf langfristige Ziele setzt. Statt um ei-
nen schnellen, eventuell kurzlebigen Er-
folg geht es um Macht auf Dauer. Eine Re-
gierung mit diversen Splitterparteien ist weniger stabil als mit drei großen Partnern. Nicht zu vergessen, dass die Köpfe Kadimas aus den Reihen des Likud stammen: Livni, Schaul Mofas, Zachi Hanegbi und andere. Und auch Lieberman kommt aus der Riege um Ariel Scharon, dem jahrelangen Likud-Chef. Mit allen in einem Boot könnte sich Netanjahu das Wort »Einheit« extra dick auf die Fahnen schreiben. Knapp sechs Wochen bleiben ihm noch, um eine Koalition auf die Beine zu stellen.