von Steffen Radlmaier
Das Schauspiel des Nürnberger Staatstheaters, wegen Umbaus in Ausweichspielorte vertrieben, hat seine laufende Spielzeit unter das Motto »Schuld« gestellt. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der
Nazi-Hinterlassenschaft des Reichsparteitagsgeländes bekommt im Jahr 2009 am historischen Ort ungeahnte Aktualität und Brisanz – sei es durch das dreiste Auftreten von Neonazis, sei es durch die unsägliche Diskussion um den britischen Bischof und Holocaust-Leugner Williamson.
Als geschickter dramaturgischer Schachzug erweist sich da die Kombination zweier scheinbar so gegensätzlicher Stücke wie Lessings Die Juden und Taboris Jubiläum in der Kongresshalle: Hier der humane, optimistische Appell eines großen Aufklärers, dort die grausame Groteske eines Holocaust-Überlebenden. Beide Teile – und das ist das Überraschende an diesem außergewöhnlichen Theaterabend – stehen für sich, werden nicht gewaltsam verschränkt, ergänzen sich auf beklemmende Weise, zeigen zwei Seiten einer deutschen Medaille. Es ist bewundernswert, mit welcher Präzision das wunderbare Ensemble den Zeitsprung von Lessing zu Tabori bewältigt, ohne ihn zu kaschieren.
Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) hatte mit seiner frühen Verwechslungskomödie als Erster eine positive Juden-Figur auf die deutsche Theaterbühne gebracht. Beseelt vom Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen, zeigt er eine höfische Gesellschaft, die zunächst über ihre antisemitischen Vorurteile stolpert und zum Schluss doch noch etwas dazulernt. Aus heutiger Sicht sieht das allerdings anders aus. Unter der klugen Regie Frank Behnkes ist sich der Jude von Anfang an seiner Außenseiterrolle bewusst, und das Happy End des heiteren Lustspiels wird überlagert von unheilschwangeren Bildern aus dem NS-Propagandafilm Jud Süß. Trotzdem herrscht vor der Pause ein heiterer Ton auf der fast leeren Bühne von Günter Hellweg. Die sieben Schauspieler tänzeln und tändeln in hellen Rokoko-Kostümen umher. Heimo Essl ist der kultivierte Reisende, der eine Baronin aus der Gewalt zweier vermummter Räuber befreit und sich erst spät als Jude zu erkennen gibt.
Das scheinbare Happy End stört nur ein Totengräber. Er gehört zu den Darstellern von Taboris Jubiläum, das im zweiten Teil dieses Theaterabends gegeben wird. Die Toten steigen aus ihren Gräbern. Ruhe können sie nicht finden, solange Neonazis wie der armselige Jürgen Friedhöfe schänden. »Jedes Leben hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge«, lautet ein zynisches Bonmot in dem Stück. George Tabori (1914-2007) hat das schrecklich komische Stück 1983 zum 50. Jahrestag des Machtantritts von Adolf Hitler geschrieben. Die lebenden Toten, die hier unentwegt ihre Leidensgeschichten mit schwärzestem Humor rekapitulieren, stehen stellvertretend für Millionen von Holocaust-Opfern. Da sind ein jüdischer Musiker, der Richard Wagner liebte, und seine Frau (eindrucksvoll: Jutta Richter-Haaser), ein schwules Paar, das Selbstmord beging (Hartmut Neuber, Heimo Essl) und nicht zuletzt das behinderte Mädchen Mitzi. Was die großartige Nicola Lembach aus dieser heiklen Rolle an Schattierungen des Schreckens herausholt, geht unter die Haut. Immerhin endet das Stück mit einer versöhnlichen Abendmahlszene. Soll wohl heißen: Der Prozess der Aufklärung ist nach Auschwitz nicht endgültig gescheitert, wird aber wohl auch nie zu einem Ende kommen. Man darf die
Hoffnung jedenfalls niemals aufgeben. Nicht einmal nach dem Tod.
Nächste Vorstellungen: 5., 20., 21., 24., 28. März
www.staatstheater.nuernberg.de