von Vanessa Bulkacz
Als Two Live Jews 1990 ihren HipHop-Hit »Oy, It’s So Humid!« (Oj, es ist so schwül!) schrieben, waren die witzigen, jüdische Themen aufgreifenden Lyrics gedacht als ironische Reaktion auf die umstrittenen Rap-Songs von Two Live Crew, die damals so populär waren, daß man ihnen nicht entrinnen konnte. Anderthalb Jahrzehnte später knüpfen junge Leute in London – ob man sie Heeb Hoppers, Heebsters oder Vorläufer des jüdischen Hipstertums nennen will – da an, wo Two Live Jews abbrachen, mit dem festen Vorsatz, Traditionen zu hinterfragen und einen Dialog herzustellen darüber, was es bedeutet, Jude zu sein.
Vor kurzem erschien in dem kostenlosen Anzeigenblatt Metro, das auf den Bahnhöfen und in den Zügen der Londoner U-Bahn verteilt wird, ein Artikel, der den Aufstieg der HipHop-Künstler, die ihr Jüdischsein in den Mittelpunkt stellen, begrüßt. Einer von ihnen ist der chassidische Beatboxer Matisyahu aus New York, dessen neueste CD in den amerikanischen Charts auf Anhieb Platz vier eroberte.
Am meisten überrascht, daß sich die Jugend in Großbritannien immer mehr für das »Heeb Hop«-Phänomen begeistert, während einheimische jüdische Klesmer- und HipHop-Bands wie Emunah und Ghettoplotz ins Rampenlicht treten und Preise einheimsen. Selbst die parodistische Londoner HipHop-Fernsehfigur Ali G., die in Wirklichkeit Sasha Baron Cohen heißt, rappte am Anfang ihrer Karriere über jüdisches Leben.
Antithesis, Student in Cambridge und zionistischer HipHop-Künstler, glaubt, daß sich der Trend fortsetzen wird. »Es ist großartig, jemanden zu hören, der nicht aggressiv oder antibritisch ist, sondern stolz auf sein Jüdischsein«, sagte Antithesis zu Metro. Als Emunah und Ghettoplotz auf dem Punk-Purim-Event »Radikales Judentum« neulich das Lied »Hava Nagila« rappten und remixten, tanzten die Besucher wie wild – und oj, war es schwül in dem kleinen, fensterlosen, verschwitzten, proppenvollen Raum!
Die Party fand in einem heruntergekommenen besetzten Haus im Londoner East End statt, das wegen seines Anti-Establishment-Flairs, aber auch als erinnerungsträchtiger Ort ausgewählt worden war: Das East End war das Herz sowohl der jüdischen Mehrheitskultur als auch alternativer jüdischer Lebensformen in London. Das Punk-Purim-Event wurde gemeinsam von der vor neun Monaten gegründeten Londoner Organisation Jewdas und dem Heeb Magazine aus New York präsentiert.
Ähnliche Heeb-Veranstaltungen sind in der jüdischen Hipster-Kultur in New York seit Jahren en vogue, in Großbritannien aber war es laut Jewdas die erste Veranstaltung dieser Art – der Hauptgrund für die Verzögerung, so die Gruppe, liege darin, daß das etablierte britische Judentum aus den Innenstadtbezirken in die Vorstädte abwanderte und »immer konservativer und langweiliger« wurde.
»Wir versuchen, innerhalb des britischen Judentums eine neue Bewegung in Gang zu setzen«, sagte Joseph Finlay, Mitbegründer des Jewdas, der Jewish Telegraph Agency (JTA). Erklärtes Ziel von Jewdas ist unter anderem, »den Talmud, Satire, Häresie und Frischkäse zu einer Hühnersuppe der Diaspora- und Untergrundkultur zusammenzurühren«.
Offensichtlich war ihr Rezept für das jüdische Allheilmittel leicht zu verdauen. Finlay, 25, schätzt, daß etwa 600 Menschen das Event besuchten, auf dem auch jüdische Graffitikünstler in Aktion, »radikales« Torastudium und jüdische Experimentalfilme dargeboten wurden.
Als noch junger Verein wollen die Organisatoren von Jewdas alles tun, um potentielle Neumitglieder nicht abzuschrecken – jedenfalls nicht aus den falschen Gründen. Die Veranstaltung wurde über Spenden finanziert, was in einer der teuersten Städte der Welt für arme Künstler sicher sehr attraktiv ist. Dazu Finlay: »Eines der Dinge, gegen die wir grundsätzlich sind, ist der Materialismus der jüdischen Mainstream-Kultur. Wir werden niemals jemanden von der Tür weisen, bloß weil er kein Geld hat.«
Zugänglichkeit und Offenheit schienen auf der Punk-Purim-Feier den ganzen Abend über Schlüsselthemen zu sein. Rowena Budd, 31, in London lebende Nichtjüdin aus Neuseeland, kam mit Freunden zu der Veranstaltung. »Die ganze Party war elektrifizierend«, und es schien »eine ganze Palette ganz unterschiedlicher junger Leute da gewesen zu sein, die sich offenbar alle aufs Glücklichste vermischten«, sagte sie zu JTA. Adam Bernstein, 26, pflichtete ihr bei. »Ich bin stolz, Jude zu sein, aber ich glaube nicht, daß es für mich als Juden mehr als anderen bedeutet hat, auf dem Event zu sein«, sagte er. »Es war einfach ein gutes Event.«
Die Organisatoren sind Londoner Juden in ihren Mittzwanzigern, doch Finlay möchte nicht, daß Jewdas als Jugendorganisation gesehen wird; er freue sich, sagte er, daß bei dem Event mehrere Generationen anwesend waren. Ein Partybesucher namens Ben, der wie die Organisatoren als Pseudochassid kostümiert war, kam gar mit seiner Mutter zu der Veranstaltung. Während einige den jüdischen HipHop für die neue Stimme jüdischer Alternativkultur halten, sieht Finlay darin einen Ausschnitt einer umfassenderen radikalen jüdischen Jugendbewegung, zu der auch Künstler, Filmemacher und Dichter gehören.
»Wir wollen einen neuen Raum schaffen für Menschen, die sich vom jüdischen Mainstream ausgeschlossen fühlen«, sagte er. In Anbetracht der beeindruckenden Besucherzahl bei der ersten offiziellen von Jewdas organisierten Veranstaltung, scheint es mehr als ein paar zu geben, die diesen Raum bereits gefunden haben.