von Agnes Bohm
William Shakespeares Drama Romeo und Julia gehört zu den meistaufgeführten Stücken der Theatergeschichte. Die Tragödie um die Liebenden aus zwei verfeindeten Familien, deren Romanze am Haß ihrer Eltern scheitert, hat auch zahlreiche Adaptionen inspiriert. Die wohl bekannteste ist das von Leonard Bernstein komponierte Musical West Side Story, wo aus der Vendetta zweier adliger Familien aus Verona ein Straßenkampf zwischen zwei New Yorker Jugendgangs wird.
Eine auf politische Aktualität getrimmte Romeo-und-Julia-Version feiert in Budapest Erfolge. Das Ungarische Nationale Tanztheater präsentiert vor seit Wochen ausverkauften Rängen das Ballett Romeo und Julia in Jerusalem. Regie führt Ivan Marko, von dem auch die Choreographie stammt. Der gelernte Tänzer kennt den Nahostkonflikt aus eigener Anschauung. Von 1991 bis 1993 arbeitete und lehrte er an der Rubin Academy of Music der Universität Tel Aviv. »Wir haben es mit zwei Kulturen und Religionen zu tun«, so Markos Sicht der Dinge, »die miteinander auf vielfältige Weise verbunden sind, aber sich trotzdem feindselig und haßerfüllt begegnen.«
Diese Ambivalenz verkörpern in der Budapester Aufführung die beiden jungen Liebenden. Romeo ist Israeli, Julia Palästinenserin. Sie tanzt verschleiert zu arabischer Musik, wenn er die Bühne betritt, erklingen Klesmerklänge. »In meiner Fassung«, sagt der Regisseur, »ist der Konflikt nicht einer zwischen zwei verfeindeten Familien, sondern zwischen Traditionen, Religionen und Kulturen.« Deshalb ist bei Marko Romeo eine Waise. Sein väterlicher Freund, ein Rabbiner, traut das junge Paar heimlich. Ivan Marko will mit seinem Ballett auch politisch Zeichen setzen. »Gerade als Jude will ich zeigen, daß Liebe und Menschlichkeit alle Feindschaft überwinden können.«
Um diese Botschaft seinem Publikum zu vermitteln, scheut der Choreograph nicht vor massiven Eingriffen in Shakespeares Vorlage zurück. Wo das Original tragisch mit dem Tod der beiden Liebenden endet, nachdem sie Gift genommen haben, läßt Ivan Marko Romeo und Julia wiederauferstehen und miteinander glücklich werden. »Ein solches Happy-End wünsche ich mir auch für den Nahostkonflikt«, sagt er.
Nicht nur Shakespeare-Puristen wird es angesichts dieser Neuinterpretation wahrscheinlich grausen. Doch das Budapester Publikum ist offenkundig angetan: Die Vorstellungen von Romeo und Julia in Jerusalem sind auf Monate im voraus ausverkauft. Gastvorstellungen in Schweden, Finnland, Norwegen, Mexiko und den USA sind für dieses Jahr bereits gebucht. Auch am Ort des fiktiven Geschehens ist eine Aufführung geplant. Ivan Marko will sein Ballett beim Israelfestival 2006 in Jerusalem präsentieren.